Seit einigen Jahren ist den Bartendern der westlichen Hemisphäre die japanische Barszene ein Begriff – mit jährlich steigendem Interesse. Es erscheint momentan als das gelobte Land der hochklassischen Mixkunst. Ich geht dem auf den Grund und frage: „Was ist im Land des Lächelns anders? Wie wird dort gearbeitet?“ und: „Kann ich dort arbeiten?“. Die Geschichte von einem der auszog, das Lächeln zu lernen.
Wie bereits im vorangegangenem Artikel „Japanische Gastgeberkunst unter der Lupe“ intensiv beleuchtet, haben Japaner eine innige Liebe zum Detail bei allen Produkten, Getränken und Services. Jene dort beschriebene Intensität und die Fokussierung auf den Gast und seine Bedürfnisse, sind beinahe unerreicht. Dies ist eine enorme Herausforderung für unsere, in japanischen Augen, lässige Herangehensweise an unsere Aufgaben. Sie ist aber natürlich auch eine einzigartige Schule für deutsche Servicewüstenureinwohner. Gastumgang und „Ninjabartending“ können und müssen hier jeden Tag geübt und verfeinert werden. Was für eine großartige Schule!
Wie das Schwein ins Uhrwerk
Betrachten wir jedoch die Kompatibilität dieses Systems mit uns Gaikokujin (respektvoll: Ausländer) wird es schwierig, denn die japanische Gesellschaft ist ungeheuer komplex. Die zuvor beschriebene, permanent stattfindende Einschätzung des Gastes und der damit einhergehende Umgang, ist schon für Japaner oft ein Kopfschmerz und kaum perfekt zu beherrschen. Ähnlich verhält es sich mit der Sprache. Unabhängig von männlichem und weiblichem Japanisch und drei verschiedenen Alphabeten, gibt es auch noch vier grundsätzliche Höflichkeitsformen. Der Film „Lost In Translation“ bietet daher einen so schönen wie zutreffenden Einblick! Auch ist dem Autor bisher noch kein Japaner begegnet, der nicht bereitwillig einräumt „Japanisch nicht zu beherrschen“. Es ist richtig, dass uns Gaikokujin hier oft ein großer Kredit eingeräumt wird. Unterm Strich blickt man jedoch oft nur wie das Schwein ins Uhrwerk oder verhält sich aufgrund mangelnder kommunikativer Möglichkeiten unter dem Standard, den man üblicherweise an sich selbst anlegt.
Alles ist höchste Profession
Ebenso ist die japanische Arbeitskultur strikt auf Seniorität getrimmt. Ein einfaches Quereinsteigen in eine bestehende Bar wie wir es aus der westlichen Barwelt kennen, ist demnach praktisch nicht möglich. So unüberwindbar sind die unausgesprochenen Regeln der hiesigen Arbeitswelt, dass man das erste Jahr nicht erwarten sollte, viel mehr als Gäste empfangen und Wasser ausschenken zu dürfen. Jedoch gibt es auch manchmal Ausnahmen bei dieser Regel und der Autor schätzt sich glücklich, in den Genuss einer solchen gekommen zu sein.
Auch ist die Arbeitsauffassung der Japaner mit der westlichen nur schwer zu vergleichen. Abgesehen von der bereits angesprochenen Detailtreue, die für uns Ausländer ein nahezu unerreichbares Niveau erreicht, wird hier jeder Job mit höchster Profession ausgeübt. Dementsprechend wichtig nimmt jeder seine Aufgaben, seien sie auch noch so klein. Sex, Drugs & Rock’n Roll sind also mit der japanischen Barwelt ähnlich kompatibel wie Hello Kitty! mit Monstertrucks. Von vielen westlichen Bartendern dürfte das hiesige Arbeitsklima daher wohl als „langweilig“ oder „lahm“ attributiert werden. Ebenso werden wir aber von Japanern als Elefanten im Porzellanladen wahrgenommen – keine rosige Basis für eine Zusammenarbeit.
Ebenso „filigran“ sind die hiesigen Getränke. Da die Japaner einen sehr feinfühligen Gaumen pflegen, schmecken viele der „klassischen“ japanischen Cocktails für uns eher schwach. Große Erwartungen an das Erlernen neuer Rezepte, oder umwerfender Verfahren, werden in Japan demnach fast ausnahmslos enttäuscht. Besonders da jene „klassischen“ japanischen Cocktails alle der amerikanischen Bar entlehnt sind – Sidecar, Gimlet und White Lady lassen grüßen. Jene wurden hier zwar perfektioniert, doch für Neuerungen gehen Japaner zu verkopft an die Arbeit. Der Detailtreue fällt meist die Kreativität zum Opfer.
Nur etwas für halbe Samurais
Als Zusammenfassung lässt sich also klar herausarbeiten: In Japan zu arbeiten ist eine immense Charakterprobe. Für lange Zeit als Wasserträger zu arbeiten, mindestens zwei Jahre eine weitere Fremdsprache zu erlernen (auf Englisch kann man nicht setzen, wenn man in einer für Japaner bedeutsamen Bar zu arbeiten wünscht), sich in ein komplett fremdartiges und unter Umständen demütigendes Arbeitsumfeld einzufügen, und die ersten zwei bis dreieinhalb Wochen jedes Monats nur für die Miete zu schuften, sind kein Pappenstil. Sieben Euro brutto pro Stunde und keinerlei Trinkgeld sind die wirtschaftliche Basis, mit der man planen muss. Wer all dies mitbringt (und damit in Augen des Autors schon ein halber Samurai ist), kann sich hoffnungsvoll an die Japanische Botschaft in Deutschland wenden und ein Working Holiday Visa beantragen. Es ist eines der am schwierigsten zu erlangendes WHV überhaupt. Doch ergattern es pro Jahr immerhin ca. 200 Deutsche. Die Kriterien, um ein Visum zu erhalten ähneln denen aller anderen an diesem Programm teilnehmenden Länder. Allerdings muss es persönlich und vorzugsweise in Japanisch eingereicht werden. Weiterhin darf auch offiziell nicht in „Bars und Nachtklubs“ gearbeitet werden…
Unabdingbar ist allerdings schon ein ernst zu nehmender Kontakt zur Barszene Japans vor der Ankunft. Denn es ist ungemein schwer, in der komplexen und hermetischen japanischen Arbeitswelt kurzfristig Fuß zu fassen.
Dieser Artikel erschien das erste Mal in leicht abgewandelter Form hier am 09.03.2014.
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