Antwerpen glänzt mit einer architektonisch einzigartigen Innenstadt, einer Hospitality Trade Show und aufstrebender Barszene. Ich besuchte die Welthauptstadt der Diamanten für ein Update. Ob die hiesigen Drinks inzwischen noch feiner geschliffen sind, als bei unserem letzten Besuch 2015?
Hafen
Es ist nun schon Jahre her, dass wir in der Mixology das letzte Mal in Antwerpen streifzogen. Seither hat sich Einiges getan. (Edel-)stein des Anstoßes des erneuten Besuchs war die jährlich statt findende Venuez Hospitality Trade Show. Die Hoffnung, auf der Venuez einen Schmelztiegel aus Hoteliers, Gastronomen und Bartendern vorzufinden wurde jedoch enttäuscht. Man findet leider viel mehr “Show” als “Hospitality”. Der Fokus liegt auf Spirituosenpräsentation anstatt auf Austauschmöglichkeiten oder gar einer Gastgeber-Wissensbörse. Die gleichen globalen Marken, eine handvoll neue Gins, Instagram-fähig designte Foto-Möglichkeiten, wenig fester Inhalt.
Mag dies die Erwartungen nicht erfüllt haben, lässt es uns dafür mehr Zeit, die Antwerpener Bar- und Restaurantszene zu erkunden! In der Umgebung der Venuez, ein vormaliges Bahn- und Hafengebiet, finden sich sehenswerte Konzepte. Restaurants und Cafés siedeln sich zaghaft an, um das sonst noch eher sterile Quartier langsam wohnlich zu gestalten. Alte Schuppen, als auch Hafen-Funktionsgebäude werden schick hergerichtet. Familien gönnen sich Brunch und Prosecco, die bereits beim letzten Besuch erkannte Lebensart der Inklusion ermöglicht entspannte Nachmittage.
Von diesem neu erschlossenen Quartier optimieren wir unseren Cocktail-Streifzug entlang einer Nord-Süd-Route ab dem Die Mas-Museum. Hier beginnt die traditionelle Bausubstanz und damit fässt die Pionierpflanze Cocktailbar Fuß. Zwischen Kunst und Rotlicht findet sich ab hier eine breite Auswahl an Belgisches-Bier-Tempeln, welche meist auch Sortimente lokaler Liköre und Spirituosen führen. Elixier d’Anvers und diverse Jenever dürfen auf keinem Rückbuffett fehlen und im Hafenviertel überwiegt die Antwerpener Version von Molle und Korn. Dutzende Jenever sind keine Ausnahme auf den Rückbuffetts. Regionalität liegt dem im Blut und wir lassen uns zu diversen Kostproben hinreißen. Die Suche nach fein geschliffenen Cocktaildiamanten muss hingegen südlich des Rotlichtviertels fortgesetzt werden.
Auf mehr oder minder direktem Weg vom Rotlicht- ins Touristen-Viertel schillern uns Sehnsucht und Halbwelt durch Schaufenster entgegen. Durch große Scheiben teils prismenhaft gebrochene Schönheiten ringen dem Biergeruch auf der Straße so früh am Abend nur mit viel Contenance Glanz und etwas Sinnlichkeit ab.
Innenstadt
Dem Odem der unerfüllten Matrosenliebe vermögen wir erst im Umfeld des Rathauses in zwei Hochkarätern zu entfliehen. Cocktails at 9 liegt mit kleinem Innenhof malerisch direkt neben einer der Kathedralen. Ein umfangreiches Team empfängt, platziert, mixt und serviert emsig und ohne Unterlass. Diverse auch ausgefallene Methoden werden angewandt, um eine vielfältige Geschmackserfahrung zu gewährleisten. Ein angenehm durchmischtes und eher junges Publikum oszilliert vor sich hin, sich seiner Jugend nicht bewusst und genießt so hochwertig wie unprätenziös.
Nur fünf Gehminuten entfernt finden wir eine ähnlich entspannte Mischung im Dogma vor. Aufgrund der Eröffnung einer Schwesterbar am Vorabend ist das Team hier noch etwas verkatert, doch sitzen die Drinks nichtsdestotrotz. In einem sehr ungewöhnlichen Raum zwischen drei Häusern untergebracht, ist bei Dogma das Ambiente ebenso Star wie die Getränke. Wie in der vorigen Bar finden wir auch hier eine ungewöhnlich klar konzeptionierte Karte vor. Wie angenehm, nicht nur eine Getränkeliste vor sich zu haben - sondern eine auf den Ort der Trunkenheit zugeschnittene Rahmenhandlung!
Die zentralen Marktplätze überquerend schlängeln wir uns durch Touristenmassen in den südlichen Teil der Stadt. Der allseits bekannte Ben Belmans eröffnete hier seit unserem letzten Besuch mit seinem Partner das BelRoy’s Bijou. Ganz in der Nähe des bei Studenten beliebten Marnixplaats wurde hier eine erwartungsgemäß hochklassische Bar geschaffen. Wir werden mit viel Gastfreundschaft empfangen. Das Herz ist sehr viel größer, als die Gastfläche dieses schlauchförmigen Kleinods. Die Getränke sitzen und sind deutlich zeitgemäßer, als das Design der Spirituosenmarke der Besitzer (welches in seiner Geradlinigkeit eher an die frühen 2000er erinnert). Sehr zu empfehlen ist hier also nicht nur gemixtes, sondern auch das Gespräch mit dem Barpersonal.
Vorstadt
Unser Blick ist noch klar, doch hat die Belgische Degustation schon ein paar Facetten hineingeschliffen. Kluger Genuss rät uns daher zu einem Cocktail weniger. Und empfiehlt uns auf dem Weg ins SIPS ein lokales Cider und Rotbier von einem der - Bacchus sei Dank - auch hier zahlreichen Spätis.
Kühle Ästethik, geradliniger Service und eine sehr … nun, ja: “klassische” Cocktailkarte offenbaren zeitblasengleich wie auch vor drei Jahren hochwertiges Handwerk und die Ursprünge in der Kreuzschifffahrt. Doch fühlen wir uns trotz hoher Getränkequalität in diesem Refugium des gepflegten Altherrentums weder wohl noch richtig willkommen. Und begeben uns daher statt zu einer zweiten Runde lieber zu unserem letzten Ziel der Nacht.
Ein Drink in The Jane vor den Toren der Innenstadt blieb uns 2015 verwehrt. Wir schlängeln uns also im erneuten Versuch durch das mit biblischem Leben gefüllte Jüdische Viertel vorbei an frischem Mazza und duftendem Late-Night-Hommus. Chassidim beenden oder beginnen ihre Tage in nicht enden wollender Geschäftigkeit. An überaus nüchternen Fassaden zielstrebt das Berliner Cocktailduo vorbei, durch Hinterhöfe in die alte Kasernenstruktur und findet mit Mühe den Eingang zu jener kulinarischen Sterne-Kapelle. Nur um pünktlich zu den Betriebsferien vor verschlossenen Toren erneut keinen Eingang zu erfahren. Ernüchternd.
Der letzte Schliff
Gerne kann Antwerpen also empfohlen werden als Ziel für kulinarischen Tourismus. Ob fest oder flüssig - die Stadt ist ein Juwel in den Niederen Landen. Reiche Brau- und Destillationskultur versüßt das Flanieren in Flandern an jeder Ecke, vor allem während der Öffnungszeiten…
Dieser Artikel erschien das erste Mal am 1. Juni 2018 in der Mixology Online.
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