Die pulsierende Barszene Australiens ist viel diskutiert. Sydney beheimatet große Bars. Aber auch die Szene Melbournes bietet gustatorische Highlights. Viele nationale und globale Schwergewichte der Barszene sind in hiesigen Gefilden zu finden. Begeben wir uns also auf die Jagd in den nächtlichen Großstadtdschungel – den Trinklöchern auf der Spur!
Bär Bar
Beginnen wir im Kodiak Club. Benannt nach dem kanadischen Riesenbären. Ein Bild von seiner Heimat, den Rocky Mountains, beherrscht den Tresen. Eine überaus umfangreiche Bourbon- und Ryeauswahl wird stilecht von einem Burger & Fritten-Menü komplettiert. Diese Mischung prägt zusammen mit der sehr gastfreundlichen Art und dem passenden Interieur die gesamte Atmosphäre. Es ist eine Nachbarschaftsbar. Doch weder der bestellte, viel zu saure Trinidad Sour, noch die zur Schau gestellten Fertigkeiten hinter der Bar rechtfertigen den allgemeinen australischen Hype um dieses,„local watering hole.“
Drink über Bord
Enttäuscht geht es, bei strömendem Regen, eine Ecke weiter. Wir gehen an Deck der Black Pearl. Eine Bar in ihrem 14. Geschäftsjahr, der große internationale Anerkennung zuteil wird. Wir schlängeln uns an mehreren, diese Bar umgebenden, Lokalen vorbei ,pirschen uns an vielen Gruppen paarungswütiger Großstadtgazellen vorbei, um noch einen Platz an der Bar zu ergattern. Ein Rusty Nail und ein Holunder Cocktail sind schnell erlegt. Beide Getränke leiden unter dem Zeitmangel und sind demnach unausgewogen und ziemlich süß. Es ist Samstagabend und demnach ist der ganze Dschungel auf den Beinen. Keine viel besungene Gemütlichkeit. Es ist heiß, laut und allerlei Balzrituale sind zu beobachten. Es ist ein In-Spot, immer etwas lauter, blasierter. Es herrscht ein Habitus aus unbegründeter Selbstverliebtheit.
Keine Frage eine fantastische Bar und eine der „Big Five“ auf unserer Tour. Aber die „viertbeste Bar der Welt“? De gustibus non est disputandum!
Everleigh die Zweite
Also wieder raus aus der Partyhöhle, rein in den strömenden Regen und ab ins Everleigh. Erst kürzlich von einem Mitarbeiter des Milk & Honey eröffnet, schickt die Bar sich an, Melbournes Szene zu attackieren. Ganz der „Speakeasy“-Mode erlegen, muss man an einem amerikanischen 50er-Jahre Diner vorbei, durch einen leider lieblos gestalteten Flur in die erste Etage finden, bis sich die Bar vor einem im vollen Glanz ausbreitet. Elegante dunkle Hölzer, dezentes Licht und der wunderschöne Tresen, prägen das Stilvolle Interieur. Die Barwerkzeuge, die Originalbarbuch-Bibliothek und Vintage-Shaker hinter Glas sind ein Augenschmaus. Dem Konzept einer anderen Institution unter den Melbourner Bars folgend, werden hier Getränke eher nach einem kurzen Gespräch, als einem Blick in die Karte empfohlen. Nach eben jenem kurzen Austausch werden wir auf einen Last Word und einen Gold Rush eingeschätzt, was ins Schwarze trifft. Abgesehen von einer Bar, hinter welcher das Arbeiten einfach eine Freude sein muss, waren auch die Getränke ein Volltreffer. Der Last Word war minimal zu süß, doch der Gold Rush kriegt zehn von zehn Punkten. Uns über guten, jedoch etwas kühlen Service freuend, bemerken wir dankbar, dass der vorherige, weniger bemerkenswerte Besuch hier wohl eine unglückliche Ausnahme war und begeben uns auf die Pirsch in die Innenstadt.
Eurozentrisch
Die Großstadtvegetation aus Beton wandelt sich in einen Dschungel aus Stahl und Glas. Wir streifen durch hochmoderne Häuserschluchten. Die kleinen Gassen und versteckten Gässchen hat sich Melbourne dankenswerterweise erhalten. Im Schatten der Hochfinanz und der Großkonzerne bieten sie anderen Lebensentwürfen und künstlerischer Entfaltung Raum. Daher finden sich hier nicht nur hochpolierte Bars und unpersönliche Spitzenrestaurants, sondern eben auch ganz eigene, originelle und für Australien ungewöhnliche Läden. Melbourne gilt als europäischste Stadt Australiens.
In einer dieser dunklen Gassen, welche scheinbar nirgendwohin führt, suchen wir das Melbourner Eau De Vie. Es ist sehr gut getarnt. Und nur mit der Unterstützung lokaler Fährtenleser gelingt es uns, die dritte unserer „Big Five“ im Betondickicht ausfindig zu machen.
Alles außer Baileys
Durch die schwarze Stahltür treten wir in den wunderschön und gemütlich gestalteten Raum. Vom Bartender werden wir in ein Bond-Gespräch verwickelt und elegant zur Bestellung eines 20th Century beraten. Hiervon beeindruckt wollten wir die Karte testen und bestellten einen Baileys.
„Haben wir nicht“ konnte leider nicht um eine Empfehlung oder etwas ähnliches, ergänzt werden – Schade! Dafür war Besitzer Greg Sanderson ein angenehmer und eloquenter Gastgeber, welcher gerne seine Bar vorzeigte. Dass er erst wenige Stunden vorher von einem feucht fröhlichen Abstecher, zum Londoner Rumfest zurückkam, ließ er sich nicht anmerken. Eine separate Küche, Degustationsraum und eine glamourösere, größere Ausstattung definieren diese Bar. Es ist ein anderer Charakter als das Mutterlokal in Sydney. Der 20th Century war allerdings genauso ausgewogen und erfrischend wie in der Dependance.
Ein kurzer Zwischenstopp im ehemals berühmten Gin Palace sorgt für zügig getrunkene Getränke. Hier ist die Zeit in den 2000ern stehen geblieben und hat diese Bar hoffnungslos überholt. Sich beim Mixen aufstützende, lustlose Bartender, 80er-Jahre-Martinigläser und Glitzerboden kann leider auch nicht die über Hundert Flaschen umfassende Ginauswahl wettmachen. Dieser Ort hat leider sein Mojo verloren.
Der ewige Bax
Bar-Großwild Nummer drei und vier sind damit also erlegt und wir schlängeln uns weiter durch die Häuserschluchten, unsere angenehme Trunkenheit als Schild und Speer gegen etwaige Attacken der Realität, bereit haltend erreichen wir schon bald unser letztes Ziel – die Bar Americano.
Der wunderbar verwunderliche Melbourner Wetterwechsel erfreut uns, und so können wir die letzten Straßenzüge in einer lauen Sommernachtsfrische zurücklegen. Dies kommt uns umso gelegener, da wir selbst trotz digitaler Satellitenunterstützung nicht die geheime Gasse finden können, in welcher sich Matthew Bax zweiter Geniestreich verbirgt. Erneut müssen uns lokale, nachtaktive Jäger helfen und dann finden wir sie – Australiens wohl kleinste Bar! Zwölf Stehplätze, nicht ein Sitz und „keine Fotos, bitte“ machen diese American Bar bei lokalen Insidern und Nachtschattengewächsen zum Renner. Als Gäste kommen Bartender aus dem ganzen Land. Gleich beim Eintreten wird man von zeitgeistiger Musik, einem Becher Wasser und einer kleinen mündlichen Einführung in den historischen Hintergrund der Bar, begrüßt.
Eine Getränkekarte gibt es nicht. Die Getränke werden aufgrund dessen gereicht, was wir dem Bartender über unsere Vorlieben und Abneigungen erzählen können. Und so werden uns nach kurzer Zeit ein wunderbar leichter, trockener Brooklyn und ein Old Fashioned mit Ahornsirup und Gewürzen zubereitet. Auf einem silbernen Tablett im Takt zu James Caldwell kommen beide Cocktails anbalanciert. Kommunikation und Cocktailkenntnis sind Stärken des Teams und man erkennt leicht, warum das Everleigh diesem Weg folgen möchte.
Jakob Etzold hat hier bis Anfang 2013 gewirkt. Seine Handschrift ist noch zu erkennen. Inzwischen hat Hayden Scott Lambert übernommen und fraglos diese großartige, weil so mutige Bar weiterentwickeln können.
Schmusetiger
Als trinkende Raubtiere starteten wir, inzwischen sind wir nach all diesen Drinks handzahm. Auf dem Weg in den heimischen Katzenkorb ärgern wir uns erneut über die schlechtesten Taxifahrer der westlichen Welt. Müssen aber feststellen, dass es in Melbourne großartige Bars von höchster Qualität gibt aber die Szene an manchen Stellen über ihre Substanz gehypt wird.
Gastfreundschaft wird jedoch allerorts groß geschrieben! Davon kann sich auch die deutsche Barszene noch eine Zeste abschneiden.
Dieser Artikel erschien in leicht abgeänderter Form das erste Mal am 14.04.2013
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