Die kulinarische Welle schwappt immer weiter in die neuen, östlichen EU-Mitgliedsstaaten. Ich bin schon lange hochgradig interessiert an unseren östlichen Nachbarn – und stattete Warschau einen erneuten Besuch ab.
Endlich haben wir unseren Bartour-Drill perfektioniert und treffen am Morgen in Warschau ein. Der endlich erfüllte Traum, per Warschauexpress Polens Metropole zu besuchen gibt uns einen ganzen Tag zur Orientierung, bevor wir uns die Abende um die Ohren schlagen.
Angenehm auffällig ist schon bei der Recherche eine breitere Verteilung der interessanten Bars in der Innenstadt, keine Partymeilen-Monokultur. Gleichzeitig noch fußläufig voneinander entfernte Bars lassen uns aber auf einen sommerlichen Spaziergang hoffen. Doch was wird uns an Qualität erwarten?
Erste Station: geschlossen
Unsere erste Station sollte eigentlich die Bar El Koktel werden. Unglücklicherweise musste sie erst kürzlich geschlossen werden. Das Duo um den aktuellen Sieger der polnischen World Class, Pawel Rodaszynski, sucht aktuell nach einem neuen Ort für seine stadtweit berühmten Elixire. Doch hielt Pawel dies nicht davon ab, mit uns in der Bar Zamieszanie einen Zombie zu trinken!
Zamieszanie ist für ihren vollverglasten Ausbau und das Getränkekonzept bekannt. Hier werden alle Drinks tagsüber vorbereitet und in kleinen Flaschen abgefüllt. Zusätzlich gibt es eine mittlere Auswahl an schäumenden Cocktails direkt aus der Zapfanlage. Uns werden auch gerne Kostproben daraus angeboten - der Traum vieler Bartender! Wir entscheiden uns am Ende für eine etwas zu süße Kreation auf Bourbonbasis und Kerbel und einer Schöpfung aus Gin, Zitronengras, Limette und Rosmarin. Pawel betont augenzwinkernd, er „recherchiere nur für seine Teilnahme an der World Class“, wobei es wohl um die Tikikultur gehen soll. Wir glauben es ihm gerne und freuen uns über weitere Empfehlungen, welche er und unsere Begleitung uns eröffnen können. Unterm Strich ist Zamieszanie eine schöne Abwechslung in der Barlandschaft und auch sehr hübsch gebaut. Trotzdem sind die Drinks aufgrund ihrer Süße und Offensichtlichkeit eher partytauglich, denn kulinarische Höhenflüge.
Speakeasy auf Polnisch
Während wir uns nun zu einem lupenreinen Speakeasy begeben, verlieren wir Pawel wieder an seine Buchrecherche. Über eine Lieferanteneinfahrt in schönster Sozialismus-Betonästhetik gelangen wir zur Bar Weles, welche nach einem slawischen Gott benannt ist. Es muss eine der dunkelsten Bars unseres Lebens sein und wir kämpfen darum, den Sprung von noch sonnigen 19 Uhr hin zu nachtschwarzer After Hour-Stimmung zu bewältigen. Um die interessante Karte gänzlich zu lesen wäre eine Grubenlampe wünschenswert, doch können wir einen Bourbon mit Roter Bete und Chiliöl sowie einem Manhattan erkennen. Scheinbar sind die Augen des Bartenders besser als unsere, denn beide Drinks waren zugegebenermaßen wunderbar ausgeführt. Das Chiliöl schimmerte geschmacklich tatsächlich nur in Nuancen durch und addierte so das so oft beschworene je-ne-sais-quoi. Und als sich unsere Augen an die tiefe Dunkelheit gewöhnt hatten genossen wir auch die vielen schönen Einrichtungsdetails. Hier würden wir gerne wieder herkommen – ab 2 Uhr nachts...
Unterirdische Lage, überirdischer Geschmack
Langsam treibt uns der Hunger in eine der mit großbürgerlichen Häusern gesäumten Seitenstraßen. In der Wilcza finden wir ein anscheinend ambitioniertes Restaurant. Doch erst als wir das Menü als Barfood verstehen, erkennen wir, dass unser Lokal auch eine ambitionierte Bar ist! Nach dem auf der lauschigen Terrasse gestillten Hunger geht es also an der im Bar Souterrain weiter.
Hier genehmigen wir uns einen Rye Old Fashioned und Wet Martini als Desserts und könnten nicht glücklicher sein mit unserer Wahl. Ausgewogen und wohlproportioniert sind sie eine Gaumenfreude und unser Bartender nimmt sich an der sonst fast leeren Bar auch Zeit für eine schöne Präsentation und ein Gespräch.
Und so erfahren wir von der Max Bar gleich um die Ecke. Wir verabschieden uns gemächlich und schlendern hinüber. Schnell wird in der Max Bar jedoch klar, dass die anderen von uns besuchten Lokale diesen ehemals sicherlich hippen Laden überholt haben. Die Drinks sind nicht mehr ganz zeitgemäß, doch ist die Zigarren- und vor allem pompöse Whiskyauswahl überaus beeindruckend. Wir erfahren, dass wir im Ableger der Originalen Max Bar sitzen, welche auch das polnische „Festiwal Whisky“ an der Ostseeküste Nähe Danzig organisiert. Dies sieht man der Whiskyauswahl im 20qm großen Humidor allerdings auch an!
Speakeasy as speakeasy can get
Nach zwei Kostproben aus Max’ Bourbonregal suchen wir jedoch noch ein Geheimnis und spüren daher in alle Ecken der Motokowska. Irgendwo hier soll die Bar 6 Cocktails sein. Doch finden wir sie partout nicht! Alle Läden, Klingeln und Hinterhöfe abklappernd hilft uns schließlich facebook zumindest mit einer Telefonnummer. Wir bekunden also telefonisch unsere Vorfreude auf gute Drinks. Mit ein wenig Überzeugungskraft werden wir schließlich als Aficionados enttarnt und uns die Adresse verraten. Unauffindbar im dritten Stock gelegen, befindet sich die Bar in einer imposanten Wohnung hinter Tür Nummer 6. In gedämpfter Musik und Atmosphäre bestellen wir einen mit Kaffir aromatisierten Martini und einen Rusty Nail. Beide Drinks des augenscheinlichen Bartender-Novizen sind leider auch hier wieder etwas zu süß. Wir erfreuen uns trotzdem an diesem speziellen Ort, lachen über den Whirlpool im Bad und knarren schließlich über das wunderschöne Eichenholz-Fischgrät-Parkett ins schummrige Zwielicht davon.
Unsere Nacht in Warschau findet damit auch ihr Ende und wir können leicht erkennen: Warschau holt mit riesigen Schritten zu den anderen Genuss-Metropolen Europas auf. Tatkräftig und wissensdurstig beflügelt sich hier eine blühende Barszene gegenseitig und macht eine Bartour zu einem Erlebnis für Gaumen, Augen und Ohren.
Der jüngste Zugang in dieser Runde ist das Roots, welches mit ebenso viel Geld wie Liebe direkt neben der Nationaloper eröffnet wurde. Wir werden bei unserem nächsten Besuch gerne schauen, ob das Barteam hier seine erste Steifheit ablegen konnte und mit der großen Sammlung aus Bardevotionalien aus dem Vollen schöpfen kann.
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