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Die Ukraine bittet an den Tresen

Die Ukraine strahlt aktuell keine große Anziehungskraft auf alle friedliebenden Urlauber aus. Doch gibt es immer mehr Anzeichen, dass es abseits von blauen Bohnen einige kulinarische Köstlichkeiten zu entdecken gilt. Ich suche nach den kulinarischen Neuigkeiten, die auf dem Krisenherd geköchelt werden.




Wenn man sich mit der kulinarischen Szene und Geschichte der Ukraine befasst, wird schnell eine Vielfalt von Einflüssen offenbar. Die letzten anderthalb Jahrtausende Kulturgeschichte brachten Eroberer aus allen Windrichtungen über die Ukraine Das Osmanische, Mongolische und größtenteils Russische Imperium brachten ihre jeweilige Kultur mit. Und so finden wir heute eine sehr interessante Melange vor, in welcher Wein und Bier genau so groß sind wie Kaffee und Schokolade. In welcher alltäglich und an jeder Straßenecke fermentiert, aber auch an der Bier- und Kaffeefront scharf geschossen wird.


Weinlese


Unsere ukrainische Degustation im Süden beginnend widmen wir uns zuerst dem Thema Wein. Seit dem römischen Reich wird an der sonnigen Schwarzmeerküste Wein angebaut. Der Weinbau erlebte unter Katharina der Großen seinen großen Aufschwung und erlitt unter Gorbatschows Regierung eine Halbierung seiner Bestände. Seither mischt die Region jedoch wieder zunehmend mit.

Der größte Anteil des angebauten Weines findet seine Anwendung in Krimsekt. Unter diesem geografisch nicht geschützten Begriff werden jährlich vor allem der georgische Rkatsiteli, aber auch Ruländer, Riesling, Merlot, Cabernet Sauvignon und autochtone Rebsorten in 50 Millionen Flaschen abgefüllt. Beinahe 50% davon stammen aus der landschaftlich vor allem an Brandenburg erinnernden Südwestukraine. Sowohl hier, als auch auf der krisengeschüttelten Krim erholen sich die Weinhäuser vom Kahlschlag der 80er Jahre und auch die Qualität nähert sich zusehends westlichen Spitzenprodukten. Diese Entwicklung findet nicht nur beim teils in Flaschengärung hergestellten Krimsekt statt sondern auch bei den Weinen. So fanden wir in den sich weiter westlich erhebenden, sanften Hügeln Transnistriens und Moldawiens erwähnenswerte Keltereien. Der dem Bordeaux ähnliche Stil der Rotweine aus Purcari zum Besipiel hat uns sehr schön gereifte, trockene Rotweine gezeigt. Und auf der anderen Seite der Dnistr kosteten wir zum ersten Mal Kvint, den transnistrischen Weinbrand. Er wird 5-50 Jahre im Eichenfass gelagert und avancierte nach dem Zerfall der Sowjetunion aufgrund seiner hohen Qualität zum Exportschlager des von keinem Staat der Welt anerkannten Transnistriens. So warten Kvints Kellermeister sicherlich schon seit einem Viertel Jahrhundert auf einen eigenen Reisepass, doch ist ihr Brand mit seinem wunderbar blumigen Boukett aus Vanille und Honig in Europa zu erstehen; zu einem Bruchteil des Preises eines vergleichbaren Armagnacs.


Lebendiges Craft

Reisen wir weiter gen Norden und kosten uns von der Rebe hin zur Dolde, ergibt sich allerdings ein noch breiteres Feld. Die ukrainische Bierszene ist aufgrund ihrer Lage selbstverständlich Hunderte Jahre alt. Gleichzeitig lässt sich auch hier der aktuell stärker werdende Boom, Spitzenbiere in kleinen Auflagen zu brauen, deutlich erkennen. Zwar sind die ukrainischen Bierkonzerne diesbezüglich noch nicht aufgewacht, doch feilen kleine Privatbrauereien mit teils beachtlichen Investitionen in zunehmender Zahl an einer neuen, vielfältigeren Bierkultur. Natürlich kommen dabei viele Einflüsse aus dem Westen. Doch wird nicht einfach nur plump der westliche Stil imitiert, sondern vielmehr die eigene Kultur damit weiter entwickelt. So wird zum Beispiel viel Russisches (oder „Imperial“) Stout eingebraut oder werden diese neuen Abfüllungen nicht „Craft“ genannt, sondern vielmehr mit der schönen Bezeichnung „lebendige Biere“ kategorisiert.

Inzwischen ist die Welle schon so groß geworden, dass dieses Jahr zum ersten Mal ein Ukrainisches Craft Beer Festival zustande kam. Alexander Himburg von Himburgs Braukunstkeller nahm daran Teil und erkannte, dass „...trotz des für ukrainische Verhältnisse hohen Preises von €1-1,50 pro Glas das Interesse an den artisanalen Gebräuen sehr groß ist...“ Zwar war er einer der wenigen nicht-ukrainischen Brauer, welche der Einladung ins nordwestukrainische Iwano-Frankiwsk folgten. Doch gibt es auch in dieser Stadt schon eine größere Szene, welche teils von internationalen Emigranten mit ukrainischen Wurzeln finanziert wird. „Es ist generell zu beobachten“ fährt er fort, „dass die Szene sehr breit über das ganze Land verstreut ist.“ Uns schien zwar, die Hälfte aller aktuell interessanten Sudhäuser stehen in Kiew und Lemberg. Doch nehmen auch Donezk, Odessa, Dnipropetrovsk, Charkiw oder Luhansk am Rennen teil. Dabei kann den Brauern eine große Experimentierfreudigkeit bescheinigt werden. So hatten wir die Möglichkeit, sehr vielfältig gehopfte, regionale Alt, Gose, diverse Ales und Stouts zu kosten. Die Vielfalt und Qualität beeindruckte uns und auch Alexander stimmt in den Kanon ein: „Bier ist dort so stark wie Kaffee und durchlebt einen vergleichbaren Qualitätssprung“. Ein bezüglich Iwano-Frankiwsk sicherlich auch geografisch hinterlegtes Gleichnis. Denn die beeindruckende Kaffee- und Schokoladenkultur Lembergs liegt nur 110km entfernt.





Russische Schokolade


Bewegen wir uns hingegen vom Mälzen hin zum Rösten reicht im Umkreis von 400km an Lemberg nur das slowakische Bratislawa heran.

Auf Ukrainisch als Lviv bekannt, hat sich in Lemberg seit dem Mittelalter eine Kaffee- und Schokoladenkultur entwickelt, die sich vor der Berner nicht verstecken braucht.

Die als Weltkulturerbe ausgezeichnete Innenstadt beherbergt in ihren wunderbar charmant-maroden Häusern eine große Auswahl an Drip-, Filter-, Aeropress- oder Cold Brew-Kaffee zum sonst auf hohem Standard gebrühten Espresso. Der Duft der Röstereien weht um die Ecken und mischt sich wunderbar mit den Aromen der überall mit diversen Gewürzen versetzten heißen Schokoladen. Dazu gesellt sich noch der eine oder andere Schnapsbrenner, welcher aus kleinen Lädchen hervorragende Tropfen verkauft. Allen voran sei hier der lokale Platzhirsch „Betrunkene Kirsche“ genannt. Mit seinem einzigartigen, süßlichen Sauerkirscharoma lockt er Gäste in Scharen an und läuft vergleichbaren Kirschlikören der westlichen Großvertriebe mühelos den Rang ab.


Insgesamt gibt die kulinarische Landschaft der Ukraine also ein sehr vielfältiges Bild ab. Von frisch fermentiertem Kwas über Weltklasse-Kaffee und -Craft Beer bis hin zu top Spirituosen die auch auf deutschen Rückbuffetts ihre Berechtigung hätten, finden wir alles vor. Und wünschen uns daher ein baldiges Ende des innerukrainischen Konfliktes, um uns hoffentlich bald auch noch weiter gen Osten vorkosten zu können.



Dieser Artikel erschien erstmalig im Dezember 2016 in der Mixology Online.

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