Wirtschaftlicher Generator für ganz Afrika und global anerkannter Weinproduzent - Südafrika ist in aller Munde. Unser Autor guckt 23 Jahre nach dem Ende der Apartheid auf und hinter die Kulissen einer der vielfältigsten Nationen der Erde. In der Hoffnung, Diversität nicht nur im Wein zu finden.
Meine alkoholische Expedition des subäquatorialen Afrikas wird auch nach dem traumhaften und vor Rhum überfliessenden Mauritius (Link zum vergangenen Artikel) fortgeführt. Via dem alkoholisch wenig interessanten Kenia geht es in den Hochsicherheitstrakt Johannesburg. Ich komme mit leichtem Gepäck in der Stadt der Diamanten und des Goldes an, mein Koffer ging irgendwo in Nairobi verloren. Zum Glück kaufte ich keinen hochwertigen Schnaps! Schon im Flughafen werden Edelsteine parallel mit “top shelf liquors” beworben. Ein guter Start, der Markt scheint Qualität herzugeben.
Trüffelschwein
Die Sicherheitslage Johannesburgs zwingt mich, selbst kürzeste Wege von zwei Blocks auch tagsüber nur in Autos zurück zu legen. Unangenehmerweise wird mir schnell klar, dass mein Hotel sehr weit weg vom anscheinend coolen Sandton liegt, welches den Großteil der überregional bekannten Bars beherbergt. Gleichzeitig stellt sich zügig heraus, dass ich im erst kürzlich der organisierten Kriminalität vorsichtig aus den Klauen gelösten Maboneng nächtige. Und hier Afrika in all seinen Facetten schillert - im Gegensatz zum “weißen” schickimicki-Sandton. Junge Designer, lokale Restaurants und eine Aufbruchstimmung wie in Ostberlin Ende der 90er bewegten auch die Destillerie Time Anchor dazu, hier ihren Anker zu werfen. Aktuell stellen sie einen London Dry Gin her, der viele lokale Kräuter und Wurzeln nutzt. Trotz seiner soliden Qualität und charmanten Aufmachung hinterlässt er jedoch keinen bleibenden Eindruck. Sehr viel interessanter hingegen ist ihr “African White Rum”. Welcher in meinen Augen auf neuartige Weise Geschmacksprofile eines leichten, an Rhum Agricola erinnernden, sehr jungen Rums mit klaren Noten eines Gins zu verbinden weiß. Es gibt eine offensichtliche Kräuternote welche ein Novum ist. Gepanscht wird aber wohl nicht. Denn die Rumrichtlinien des 17 Millionen Tonnen Zuckerrohr produzierenden Landes sind ähnlich klar definiert wie in der EU oder der Karibik. Im Gegensatz zu Indien, beispielsweise. Und unterscheiden sich primär nur im Mindestalkoholgehalt von 43%.
Abseits von Time Anchor findet sich jedoch primär Diageo oder Pernod Ricard in den Regalen. Bei lokal gebrautem Bier steht bisher vor allem Soweto Gold im Fokus. Und obwohl die Barszene hier noch in den Kinderschuhen steckt sind Craft Bier und handgemachte Spirituosen ein boomendes Thema in Südafrika. Doch kommen fast all jene Abfüllungen aus der Kapregion.
Zug um Zug zum Kap
Richtung Kapstadt nehme ich den Zug und mache Bordküche und Getränkeservice unsicher. 1.500km und 30 Stunden lang. Während die Kalahari, steile Bergpässe und wie mit einem Messer gekappte Berge an meinem Schlafwagen vorbei ziehen, kann ich Weine und Brandies aus der Kapregion bereits verkosten.
Und erneut bestätigt sich, dass Speisen und Getränke aus der gleichen Region ein gutes pairing ergeben. Die heimische Züchtung des Pinotage Rotweins passt sehr gut zur lokalen “Wors” genannten Wurst mit Schakalaka-Paprikasauce. Der hiesige Brandy hingegen bildet einen tollen Digestif nach Kalahari-Curry und Maisbrei genannt Pap. Ein Spitzenprodukt der lokalen Brandywirtschaft ist zum Beispiel Die Mas aus der Karoo genannten Steppe. Nach meiner Ankunkt in Kapstadt werde ich ihn auch in der wohl experimentierfreudigsten Bar der Stadt finden. Cause I Effect leistet sich Küche und Bar, sammelt viele Ingredienzien selbst im Umland und fokussiert sich auf Instagram-fähige Präsentation jedes einzelnen Drinks. Sie trauen sich als Erste, den auch hier mit angestaubten Image belasteten lokalen Brandy voranzubringen. Denn es ist offensichtlich, wie sehr die hiesigen Weinländereien sich ebenso bemühen, die Europäische Vielfalt in höherprozentigen Gefilden zu erreichen. Es werden mehrere lokale Verstärkte Weine à la Sherry, Port oder Wermut produziert. Hervorgehoben werden muss dabei auf jeden Fall die Familienfirma Boplaas Cellar, welche jährlich Medaillen für ihre Weine im Portstil sowie Muscat-Süßweine einsammelt. Monis hingegen stellt einen “Flor Method” Wein her. Welcher noch etwas Tiefe und Charakter vermissen lässt, ansonsten hingegen einen klaren Oloroso-Charakter vorweist.
Kap der guten Gin-Hoffnung
Die nun bereits 360 Jahre alte Geschichte Kapstadts ist seit langem von Handel, Aufwertung niederer Güter und Einfallsreichtum geprägt. Mehr oder minder als Raststätte der frühen Seefahrrouten gegründet, wurde Ernährung der Stadt bereits in die Wiege gelegt. Und so findet sich heute nicht nur viel, sondern vor allem vielfältige Essens- und Getränkekultur. Abseits von Klasse Kaffee, vielfältigen Teeoptionen und dem allseits bekannten Wein surfen hier vor allem Craft Bier und Gin auf einer Hype-Welle. Devil’s Peak oder Woodstock Breweries brachten auch hier diverse Ales, Witbier und manchmal auch Pils aufgrund herausragender Qualität zu Ruhm. Und sind im Zentrum der Gegenbewegung zum Hopfen-Einheitsbrei von SABMiller, die alle sechs der verkaufsstärksten Marken Südafrikas besitzen.
Noch interessanter wird es hingegen beim Gin. Als Lucy Beard und Leigh Link ihre Destillerie Hope on Hopkins vor vier Jahren gründeten waren sie die Dritten mit Ihrem Craft Gin auf dem Markt. Inzwischen muss sich Ihre Firma in einem Markt aus 135 Teilnehmern beweisen. Ein explosionsartiges Wachstum, welches auch die beiden selbst mit ihrer vielfältigen Kontraktbrennerei anfeuern. Unabhängig von der stark wachsenden Gin-Nachfrage macht dem hiesigen Markt aber nicht nur das Überangebot zu schaffen. Leigh teilt mit: “Eine der größten Engpässe für uns ist inzwischen, Flaschen zum Befüllen zu finden!” Denn die lokalen Glasproduzenten sind an derlei Kleinmengen nicht interessiert. “Deshalb importieren wir nicht nur unseren Wacholder aus England, sondern auch unser Glas aus Frankreich.” Was diesen extrem isolierten Markt natürlichen Wachstumsgrenzen unterwirft. Denn wo liegt der nächste nicht-muslimische Markt mit notwendigem Lebensstandard für die Südafrikaner? Demnach bleibt abzuwarten, was in zehn Jahren noch übrig ist von dieser Gin Welle, oder ob sie schlichtweg im Sande verläuft.
Aktuell ist Gin jedoch scheinbar nicht zu stoppen. Dennis Williams’ leistete mit seiner Ende 2013 gegründete Gin Bar diesbezüglich Pionierarbeit und ist auch noch immer ganz oben auf den Listen der Besten Bars der Stadt. Allerdings nutzten er und seine Partner Jeanne Marais & Michael De Klerk, gewonnene Erfahrung und Kapital zur Weiterentwicklung. Und besitzen nun unter anderem The Botanical Bar. Hier werden ganz offensiv selbstgemachte Bitters, Shrubs und Mazerate in den Fokus gerückt. Vormals Leichenschauhaus des Hospitals des Herztransplationspioniers Barnard werden hier nun die mitunter innovativsten Getränke der Stadt bereitet. Lokale Kräuter, Rinden und Wurzeln werden in Brandies und Weine des Kaps transplantiert und ergeben so überaus herzliche Getränke. Inklusive einer Art “Kap Campari”. Und ist so auch eine der ganz wenigen Kapstädter Bars, die sich des langweiligen Klammergriffs der Spirituosen-Großkonzerne entziehen.
Kein Ende der Brände?
Unter’m Strich ist gerade die Kapregion also weiterhin ein überaus vielversprechender Treiber exquisiter Getränke. Wein und Bier, als auch Spirituosen werden anders und neu gedacht und lohnen allemal einen Vergleich. “Lokal” wird auch hier großgeschrieben und birgt aufgrund der fast einzigartigen Artenvielfalt viele uns sonst unbekannte Aromen und Geschmäcker für eine zunehmend interessante Barszene. Sollte Kapstadt also seine nun inzwischen dreijährige Dürre bald überwinden können (und Tourismus und Gastronomie an dem absoluten Wasserstop ab dem 12. April 2018 nicht zu Grunde gehen) lohnt sich eine Reise hierher allemal!
Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Mixology Online in 2018.
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