Die amerikanische Barszene ist und bleibt die größte der Welt. Doch finden sich in ihr vermehrt individuelle Strömungen und Besonderheiten. Unser Autor Robert Schröter begibt sich in zwei Teilen an die beiden Küsten der USA um Neuerungen einzufangen. Im ersten Teil geht es um Miami und Miami Beach: alles nur Glitzer - oder auch ein wenig Substanz?
Es gibt Nord- und Südamerika - und dazwischen liegt Miami.
Verdient oder verschrien: den US-Amerikanern wird gerne Oberflächlichkeit nachgesagt. Im Flyover wird alles frittiert, LA ist ein einziger Parkplatz und New York schläft zwar nie, aber vor allem aufgrund der unbezahlbar hohen Mieten. Abseits zweier kleiner an Kanada grenzender Areale fühlt sich der kulturbeflissene Europasnob hier unterfordert und öffnet gerne seine Stereotypenschublade mit der Aufschrift “Plastik”.
Doch besuchen wir drei Jahre nach unserem letzten Abstecher gerne erneut Miami und müssen uns schon nach wenigen Tagen eingestehen, dass Florida nicht nur der Warteraum Gottes ist, sondern auch viel Kultur und gesunden Lebensgenuss zu bieten hat. Die Metropolregion erfreut sich unterschiedlichster Einflüsse, was die Restaurant- und Barszenen stetig voran treibt. Und so trinken wir uns durch die eine oder andere weltbekannte Adresse in verspiegelten Wolkenkratzern, kubanischem Zigarrenrauch oder Art Déco-Kleinodie. Auf der Suche nach der Neuen Barszene Südfloridas.
Ein bisschen Gold und Silber, ein bisschen Glitzer Glitzer - Deichkind
Miami und Miami Beach müssen zum Verständnis unterschieden werden. Es sind zwei separate Städte mit sehr unterschiedlichem Flair. Auf dem Festland gelegen entspricht das eigentliche Miami dem amerikanischem Stereotyp des sich endlos ausbreitenden Suburbias. Der sehr kleine, nachts verwaiste Innenstadtkern sucht sich aus Stahl und Glas in den Himmel reckend Charakter zu verschaffen.
Miami Beach hingegen liegt auf einer Miami vorgelagerten Insel und läuft in die Florida Keys aus. Das überwiegend niedrig im Art Déco-Stil bebaute South Beach ist eng mit Restaurants, Cafés, Hotels und fast allen für uns interessanten Bars bespickt. Durch die tropisch begrünten Straßen schleichen dort brummend unbezahlbare Sportwagen auf dem Weg zum nächsten valet parking.
Durch dicken Zigarrenrauch kubanischen Kaffee genießend bewundern wir die sich in den Himmel reckenden Finger aus Licht. Und hecken unsere Route durch die Tresen dieser Stadt aus. Miami-gemäß gleiten wir im Cabriolet deutscher Provenienz durch die Häuserschluchten, bewundern mutige Statik in luftigen Höhen und strömen über grell beleuchtete Magistralen mit zu hoher Geschwindigkeit dem Atlantik zu. Denn trotz jugendlichem Übermut in Wynwood und heißen Tänzen in Little Havana verströmt abseits vom hochwertigen Pawn Broker in Down Tön Miami vor allem Miami Beach die größte Anziehungskraft auf Barflies…
Me and Charlie at the bar running up a high bill - Will Smith
Regent Cocktail Club, Rose Bar oder The Living Room bieten alle von weltberühmten Designern ausgebaute Bars in den Foyers, auf den Dachterrassen und an den Pools der größten Hotels Miami Beaches. Dieser Stil und Anspruch steht für die althergebrachte Barkultur der Stadt. Um sich jedoch nicht in Details einer Bartour zu verlieren und den Makro-Trend zu verstehen soll hier eher eine große Tendenz heraus gearbeitet werden, anstatt auf Bars en detail einzugehen. Denn selbst die Dependance des weltberühmten Employees Only wirkt unter Palmen eher wie eine Kulisse und sucht hier aufgrund zweier Umstände intensiv nach Kredibilität und Identität.
Umstand eins ist die seit wenigen Jahren extrem beschleunigte Barszene Miami Beaches. Was direkt auf Umstand Nummer zwei zurückzuführen ist: die Eröffnung und der kometenhafte Aufstieg des Broken Shakers. Denn bevor Gabe Orta and Elad Zvi ihr Bar Lab und damit die Broken Shaker pop-up bar eröffneten, war Miami eher bekannt für Flying Kangaroos, goldfischglasgroße Cocktailgläser und hohe Preise. Es ist Ihnen zu verdanken, dass die Cocktailrenaissance auch in Miami Einzug hielt. Und damit Bars in dieser Stadt zwar nicht unbedingt aus den Hotels auszogen, sich aber deutlich veränderten seit unserem letzten Besuch 2014.
Had a million dollar vibe and a bottle to go - Flo Rida
Denn seit jeher findet die Cocktailszene Miami Beaches in den großen Hotels statt - primär direkt am Strand. Zwar griffen Orta und Zvi dies auf, doch begaben sie sich nicht in eines der teuren Hochglanzhotels in South Beach. Vielmehr wagten sie es, auf dem eher mittelmäßig populären Mid Beach in ein Hostel zu ziehen. Sicherlich ein sehr angesagtes und fast luxuriöses Hostel. Doch nichtsdestotrotz sorgte neben fairen Preisen, innovativen Drinks und in der Stadt ungekannter Cocktailqualität auch dieser deutliche Bruch mit altbekanntem für Anerkennung und Kredibilität.
In Verbindung mit einer bereits reichen Karriere in der Stadt, den Marketingqualitäten der Gründer und deren Begeisterungsfähigkeit vor allem an der nördlichen Ostküste sorgte bald für einen regen Zustrom feierwilliger New Yorker mit tiefen Taschen. Und so nutzte der Broken Shaker aktuelle Techniken und Rezepte von außerhalb um Miami aus dem Cocktail-Dornröschenschlaf zu küssen. Somit gleich ganz vorne auf der Tikiwelle mitzuschwimmen und schnell die richtigen Leute auf sich aufmerksam zu machen. Vielleicht bedienten sie zusätzlich noch den Wunsch, dass die USA sich nicht nur auf drei oder vier Drink-Metropolen stützen wollte. Und konnten auf die Marketingkraft des ebenso den Freehand-Eignern gehörende NoMad New York zurück greifen. Denn überraschend schnell wurde diese 20qm-Tiki-Hostelbar schon nach zwei Jahren in die 50 Besten Bars der Welt gewählt.
In der Bugwelle dieses Erfolges wurde die gesamte Barszene hier umgekrempelt und seit mindestens zwei Jahren gibt es sehr viel Bewegung. Elder statesmen wie Julio Cabrera verließen etablierte Bars und lösten einen Exodus aus teils angestaubten Hotelbars aus. Zum ersten mal werden auch kleine, unabhängige Bars außerhalb von Hotels eröffnet, was man bisher maximal aus Wynwood oder Little Havanna auf der Festlandseite kannte.
Diese neue Presse lockt natürlich allerhand Barflies aus Häuserschluchten nördlicher Metropolen an den Strand und lässt den Durst nach hochwertigem Hochprozentigem anschwellen. Und so konnte sich Miami Beach auch noch eine weitere Facette des Cocktailgenusses erschließen. Es geht nicht mehr nur um groß, teuer und männlich. Innovativ, aromatisch und trotzdem durch und durch sommerlich könnte man diese neue Strömung bezeichnen. Und definitiv nicht standardisierbar, was man an der Abkehr von klassisch-trockenen Hotelbars oder des nicht einfach kopierbaren Erfolgs des New Yorker Employees Only an den Strand erkennt.
But there's no place like Miami - U2
Unterm Strich kann man also Folgendes fest halten: Die kreative Bugwelle des Broken Shaker brachte vor allem etablierte Trends in das auf Getränkeseite noch unterentwickelte Miami Beach und löste einen großen Aufschwung in dieser sonst so affluenten und lebensbejahenden Stadt aus.
Andererseits entstanden auch durch im Broken Shaker ausgebildeten Bartender neue, lokal verankerte und innovative Restaurant-Bars wie das Beaker and Gray. Welche sich mit ihren unabhängigen Standorten und Getränkekarten ungewöhnlich konkret von den Hotels lossagten.
Und so empfiehlt sich eine neuerliche Reise nach Miami allemal auch für Cocktailenthusiasten. Denn sowohl der Preis, als auch die Qualität stimmen aktuell wohl überein und zu danken haben wir dafür den die Fahne lange hochhaltenden Hotelbars genau so sehr wie dem Katalysator Broken Shaker mit seinen innovativen Besitzern und Barchefs.
Dieser Artikel erschien erstmals November 2017 in der Mixology Online.
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