Japan ist berühmt für seine einzigartige Servicequalität. Ebenso reich an Höflichkeit ist die Japanische Barszene. Ich tauchte ein in das Land der lebenslangen Gastgeber.
Weiß behandschuhte Taxifahrer öffnen bereitwillig Autotüren, japanische Stewardessen werden scheinbar schon lächelnd geboren, die Züge sind immer pünktlich und Kaufhallenkassierer verbeugen sich selbst beim Kauf eines Kaugummis mehrfach. Auch in Bars geht es ähnlich zu. Für eitle Selbstdarsteller oder Starallüren ist da kein Platz.
Die Auslöschung des Bartenders
Die japanische Sicht auf das Gastgeben lässt sich in zwei Bereiche aufspalten. Ganz vorne steht die vollkommene Ausrichtung auf den Gast. Ebenso wie japanische Gäste bei Getränken selbst auf minimale Details achten, wird auch von Seiten des Bartenders jede noch so kleine Unebenheit in seinem Arbeitsprozess und seinem Getränk abgeschliffen.
Diese Ausrichtung quasi vollkommen auf den Gast reicht hier praktisch bis zur Elimination des Charakters des Bartenders, was für uns Gaikokujin (respektvoll: Ausländer) natürlich befremdlich ist. Doch sehen sich Japanische Bartender eher als Produzent, denn als Entertainer und wollen ihren Charakter nicht in die Bar einbringen, sondern dem Gast ultimativ zu Diensten sein. Dies beinhaltet, dem Gast immer einen angenehmen Abend, ja Wohlbefinden zu bereiten. Dementsprechend werden sie ihm nie widersprechen oder mit der eigenen Persönlichkeit zu überstrahlen versuchen. Schließlich bringt er Freunde, Kollegen oder gar Geschäftspartner mit. Und vor Ihnen gilt es, den Gast am Besten aussehen zu lassen.
Cocktail als Gesamtkunstwerk
Diese Einstellung lässt also keinen Platz für einen Zampano hinter dem Tresenblatt. Der Ablauf, vom Empfang des Gastes bis hin zur tatsächlichen Überreichung des Getränks, verschmilzt demnach zu einem einzigen Tanz der Höflichkeiten zwischen Gast und Gastgeber und nimmt gerne mehrere Minuten, zahlreiche kleine Arbeitsschritte und Aufmerksamkeiten, sowie die Auswahl aus einem Dutzend unterschiedlicher Höflichkeitsformen in Anspruch. Alle noch so kleinen Details wie Umstand des Besuchs, Begleitung, Alter, sozialer Stand oder Tageszeit werden in Betracht gezogen, um den Service perfekt dem Gast anzupassen.
Jedes Getränk wird mit größtmöglichem Respekt und Ernst zubereitet. Minutiös durchdacht wird jeder Arbeitsschritt ballettartig exekutiert und der Cocktail als Gesamtkunstwerk dem Gast überreicht.
Aus dem gleichen Grund bemühen sich Bartender, quasi keinerlei Geräusch zu verursachen. Gläser, Stühle und Flaschen werden geräuschlos gereicht und sogar Arbeitstechniken an die Raumlautstärke angepasst.
Detailreiche Ereignisse
Dies führt nahtlos in den zweiten Bereich: Die Beachtung jedweder Details.
Japaner sind für uns unvorstellbar genau auf Details versessen. Die Form, Farbe, Präsentation, der Geruch, die Art der Dekoration werden alle ebenso stark bewertet wie der „dramaturgische Aufbau“, der final zur Überreichung des Getränkes führt.
Gerade in den hochklassischen Bars fangen Drinks bei10 Euro an, plus mindestens 10 Euro „table charge“. Daher ist der Besuch einer Cocktailbar für viele Japaner weniger ein fröhlicher, unbeschwerter Umtrunk, als vielmehr ein Ereignis.
Dies bringt natürlich gewisse Ansprüche mit sich. Betrachten wir zur Veranschaulichung die omnipräsenten Oshibori: Die Temperatur jener bei Ankunft gereichten Baumwollreinigungstücher, deren Material, Geruch, Farbe und Qualität der Faltung würden uns Gaikokujin nicht einmal auffallen. Doch können sie Japaner bewegen, nicht in dieses Etablissement zurück zu kehren. Denn all die Kleinigkeiten dieser Handtuch-Höflichkeit, verraten dem Gast etwas über die Ansprüche der Angestellten und des Besitzers. Selbst Flaschen mit nur leicht beschädigtem Etikett werden nicht gekauft, zweitklassige Barsnacks nicht gegessen. Manche traditionsorientierten Gäste sehen es gar als Affront, wenn ihnen eine Getränkekarte gereicht wird, ohne dies jedoch zu kommentieren.
Bars als Wohlfühloasen
Denn negatives Feedback zu geben wäre für Japaner ein Gesichtsverlust und kann daher nicht erwartet werden. Zwischen den Zeilen zu lesen und blitzschnell die Atmosphäre zu korrigieren ist demnach essenziell. Auch Bestellungen werden gerne wortlos oder gar in Metaphern getätigt. All dies führt zu einem übersensiblen Fokus auf alles, was in und sogar um die Bar und den Gast vor sich geht. Ein zu lautes Widerwort eines Gastes wird wahrscheinlich mehrere Gäste der „nun bitteren Aura“ entfliehen lassen. Weshalb Harmonie an jeder Stelle – sei es zwischen zwei Gästen oder Angestellten und Gästen – unheimlich wichtig ist. Es wird also ersichtlich, dass Japaner die Essenz des Gastgebens komplett auseinandernehmen, analysieren, jedes Detail perfektionieren und dann wieder nahtlos zusammensetzen. All dies sorgt für eine perfekt auf den Gast eingestellte Wohlfühloase, in der alles auf seine Befindlichkeit ausgerichtet ist. Dies ist eine immer wieder erneut unter Beweis gestellte Tugend und basiert weniger auf der Coolness der eigentlichen Bar, denn auf der Professionalität des Bartenders. Japanischen Bars sind auf den ersten Blick oft weniger beeindruckend. Jedoch erwirbt sich jeder Bartender hier ohne Getöse seine eigene Klientel, die ihm dann auch bereitwillig in eine neue Arbeitsstätte folgt, um weiter in den Genuss seiner Servicequalitäten zu kommen.
Dieser Artikel erschien zuerst in leicht abgewandelter Form in der Mixology am 02.03.2014.
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