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Koffein und Terroir

Die hohe Kunst des Kaffee-brühens hat in den vergangenen Jahren berauschende Höhen erklommen. Eine Entwickliung, welche analog zur Cocktailkunst statt findet. Doch wie steht es um die Verschränkung beider? Wo steht die aktuelle Entwicklung?

Wir sind doch bitte nicht noch immer bei Espresso Martinis mit Kahlua…?


Lange vorbei ist die Hoch-Zeit von Jacob’s Krönung und Tchibo Feine Milde. Auch der Unterschied zwischen Cappuccino und Flat White ist einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Interessierte Kreise entwickeln in Deutschland sogar Feingefühl bezüglich Herkunftsländern und Röststilen. Ein “Hoch!” auf den Einfluss aller internationalen Gäste in unserem Land! Immer mehr Röstereien werden erfolgreich betrieben. Deutsche Städte jeglicher Größe können mit eigenen Röstereien aufwarten. Ganz besonders Berlin entwickelt sich da zum Schwergewicht - mit angeblich über 50 specialty coffee Röstern.


Ab mit dem Zopf!


Was specialty coffee ausmacht, und deswegen auch für uns Bartender unglaublich interessant ist, ist seine Vielseitigkeit. Denn Kaffee ist mitnichten immer gleich. Je nach Brührezept, Röstgrad, Herkunftsland und sogar Anbaumethode kann er sich sehr unterscheiden. Schon Espresso ist unglaublich vielseitig. Und kann ein Sprektrum von leichten, erfrischend-azidischen bis hin zu tiefschwarzen, bitteren Röstungen wie in Süditalien reichen. Mit einer Créma, die den Löffel senkrecht in der Tasse stehen lässt. Hinzu kommen diverse Brühmethoden von AeroPress, French Press, diversen Filterverfahren, Cold Brew, mit Stickstoff getriebener Nitro oder die gute alte Filterkanne. Da muss uns Bartendern doch aufgehen: Es gibt viel mehr Möglichkeiten, als den alten Bekannten Espresso Martini mit unterschiedlichem Zucker oder einer anderen Spirituose zuzubereiten. Und noch viel grundsätzlicher: Wir sollten uns langsam mal schämen, eine Spirituose mit Zucker oder Likör versetzt überhaupt noch Martini nennen zu wollen!

Also: Ab mit dem Zopf!


Her mit den Lagen

Es wird also Zeit, dem Charakter eines ganz spezifischen Getränkes Rechnung zu tragen. Unsere Ausrichtung muss doch weg von “Kaffee”, hin zu “spezifische Bohne in definierter Röstung - zubereitet mit klarem Rezept und Brühmethode” gehen. Denn wie unglaublich groß sind die Unterschiede zwischen Äthiopischer Bohne, nur bis zum first crack geröstet und mit einer AeroPress gebrüht. Im Vergleich zu einer Brasilianischen, dunkler gerösteten Bohne in Espresso-Brühung. Es wäre doch Wahnsinn, beide in sich schlüssigen Getränke in einem identischen Cocktailrezept zu verwenden!

Eine neue Wahrnehmung von Kaffee seitens der Bars ist also angezeigt. Hier sollen nun anhand einer prominenten Kooperation zwei Möglichkeiten durchdekliniert werden. Denn im Zuge des weiter innovierenden Berliner Festivals Craft Cocktails ergeben sich immer neue Verschränkungen in der lokalen Barszene. So nehmen inzwischen 19 verschiedene Bars, aber auch Brauer, Sherryimporteure, aber eben auch zwei Kaffeehäuser teil. Dabei entstand beispielsweise ein Programm zwischen der progressiven Bar Kupfer und dem landesweit bekannten Röster The Barn. Wobei Spirituosen mit teils lokaler Herkunft intensiv um den Kaffee herum gruppiert wurden, nicht anders herum.



Roter Bourbon?

So wurde aus der Kaffeesorte Roter Bourbon in der Westprovinz Ruandas der Filterkaffee Mahembe geröstet - benannt nach der Familienplantage. Seine Aromen von Schattenmorellen und schwarzem Tee legten eine Paarung mit rotem Wermut und einer dunklen Spirituose nahe, besonders in der The Barn-Zubereitung als Cold Brew! Eine Linie der Zuckerreduzierung verfolgend, entschied sich die ehemalige Head Barista Agata Wisniewska vom Kupfer für einen sehr trockenen, nussigen Roggenwhisky des Freimeisterkollektivs und den eher mediterranen, süßlichen Casa Mariol Wermut aus Barcelona. Um die Säure des Ostafrikaners zu unterstreichen folgt frischer Orangensaft. Der notwendige Schuss Süße erfolgt durch den vom Freimesiterkollektiv in Kooperation mit The Barn entwickelten Mahembe Cold Brew Likör.

Der zweite Drink basiert auf einem floralen Ostafrikaner. Gedeb Beriti aus der gleichnamigen Äthiopischen Kooperative vermählt die für Äthiopische Bohnen typische Fruchtigkeit und Tee-ähnliche Struktur zusammen mit Bergamotte-Noten und Vanille. Die Paarung dieses Filterkaffees mit dem unglaublich floralen Butterbird Weißling Rum verleiht dem Drink Rückgrat. Wohingegen ein leichter, weißer Wermut wie Znaida ebenso nahe lag wie die Verwendung von Italicus Rosolio di Bergamotte. Um die präsenten Aromen herauszuarbeiten, nicht unterzubuttern. In dieser Kombination wird nur ein Barlöffel Zucker zur Einbindung und Abrundung aller Geschmäcker notwendig. Wermut spielt auch hier eine Rolle, da die Vorgabe niedrigalkoholischer Getränke in einem Tagesgeschäft beachtet werden wollte.


Eine Tasse voll Aromen

Unter dem Strich bieten sich demnach mit vielseitigen Zubereitungsmethoden und spezifisch ausgewählten Zutaten ganz neue Paarungen. Welche weit weg vom Espresso-Cocktail sind. Und den einzigartigen Charakter ganz exakt ausgewählter Kaffees in das Zentrum rückt. Und damit weiter den Weg hin zum Genuss beschreitet. Denn so entsteht eben kein mit Koffein versetzter Likör, sondern vielschichtig aromatisierter Kaffee.

Und diesen Paradigmenwechsel einzuläuten sind wir unseren sensorisch überaus fein eingestellten Kollegen an den Röstmaschinen langsam schuldig!



Dieser Artikel erschien zuerst im März 2019 in der Mixology Online.

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