In den 2000ern musste alles “Premium” sein, jetzt steht auf allem “regional”. Eine wünschenswerte Entwicklung, sofern kein Etikettenschwindel vorliegt! In unserer Szene wird deshalb wieder stärkeres Augenmerk auf Obstler, Aquavit und Doppelwacholder gelegt. Doch fehlt da nicht Einer? “What the Korn!?” frage ich mich.
Der Korn ist ein ungewöhnlicher Geselle. Trotz klarer Definition, peinlich reinlicher Produktion und reicher lokaler Tradition bleibt seine Verbreitung auf die direkte Umgebung seiner Hersteller beschränkt. Wie es dazu kam und wo er inzwischen steht birgt einige Überraschungen. Ich fange in der Mitte an, um Sie zu enthüllen:
Hoch lebe das Monopol!
Um die Alkoholproduktion im Gebiet des heutigen Deutschland sowohl effizient zu besteuern, als auch (unter anderem zu Rüstungszwecken) straff zu organisieren, bildete sich über die Jahrhunderte das sogenannte (Bundes)branntweinmonopol heraus. 1507 wurde in Nordhausen bezeichnenderweise erstmals Kornbrand besteuert. Und nach einer überaus wechselhaften Geschichte mit vielfältigen Regeln und Steuern fand erst zum 31.12.2017 das Branntweinmonopol aus EU-Wettbewerbsgründen sein Ende. Dieses staatliche Monopol und die damit einhergehende Kontrolle war effizient und verdrängte Quacksalber oder unsauber Brennende. Gleichzeitig begünstigte dieser Prozess Konsolidierung und ein Streben nach immer größeren Anlagen. Da ein immer größer werdender Anteil des Gebrannten Agraralkohols nicht für den Genuss, sondern die (besispielsweise Chemische oder Kosmetik-) Industrie gebrannt wurde. Reinheit gewann so über Feinheit mit gleichzeitigem Fall der Produktionskosten. Die großen Nord- und Zentraldeutschen Brenner zwangen sich daraufhin auf dem Feld des Trinkkorns ab den 1970ern gegenseitig in einen Preiskrieg. Was schlussendlich in der unrühmlichen “Pennerheizung Korn” für unter €8 pro Liter mündete.
Diesen Preiskampf konnte keiner gewinnen, besonders nicht der Geschmack. Und so lag Korn ab den 1980ern am Boden. Zugleich erreichte sein Verwandter Wodka immer neue Absatzrekorde und Preishöhen.
Nieder mit dem Monopol!
Einen der vielen Brenner, den diese Entwicklung traf, war der traditionsreiche Produzent Sasse aus der ehemaligen Korn-Hochburg Münsterland. Im Jahre 1707 gegründet, musste die Feinbrennerei Sasse 1985 aufgrund des Preisdruckes und stetig sinkender Absätzen schließen. Erst einige Jahre später nahm der Sohn Rüdiger Sasse das Heft in die Hand - mit der visionären Wiederauflage von Lagerkorn. Denn obgleich die Definition für Korn deutliche enger gefasst ist, als für Wodka, konnte man sich vom immer erfolgreicheren, aromatisch eigentlich neutralerem Bruder nicht sinnvoll abgrenzen. Denn für den Konsumenten waren vor allem die alkoholische Untergrenze von 32% Vol und (im besten Fall) etwas kernigerer Geschmack die einzigen erkennbaren Unterschiede zwischen angestaubten Korn und dem nun sexy Wodka.
Ein Zufall spielte Rüdiger Sasse also in die Hände, als ihm im lokalen Nikolausverein zu Zeiten der stillgelegten Destillerie seiner Väter eine überaus wohlschmeckende, alte Flasche Sassekorn übergeben und verkostet wurde. Die daraufhin vorsichtig wiederbelebte Brennertätigkeit ließ die seit 1707 bestehende Familien-Brenntradtion wieder auferstehen. Nach und nach gebar sie diverse Lagerkorn, welche so experimentierfreudig wie handwerklich solide sind. Auszeichnungen wie World-Class Distillery (World Spirit Awards) und bester kontinentaler Whisky (IWSC 2013) folgten.
Ich frage Rüdiger: “Wolltest Du dann Deinen Lagerkorn Cigar nicht lieber als Whisky verkaufen, da er alle Kriterien erfüllt, und mehr Geld verdienen?” “Nö,” antwortet er mit verschmitztem Lächeln, “ich wollte ja Korn wieder groß machen. Als Whiskyhersteller ist man auch einer unter vielen. Aber mit unserem Korn erarbeiten wir uns eine besondere Reputation!”
So also wuchs die Destillerie. Eine Augenweide von Fasslager, zwei historische Kolonnen aus dem 19. Jahrhundert, eine eigene Abfüllung und enge Beziehungen zu den umliegenden Bauern sichern inzwischen etliche Arbeitsplätze. Sasse ist auch ein Ausbildungsbetrieb und reicht die Kunst des Korns auch an folgende Generationen weiter.
Inzwischen gibt es Korn aus verschiedenen Hölzern, in Fassstärke und mit diversen Altersangaben. Sasse sucht ganz klar nach aromatischen Höhenflügen. Und gleichzeitig danach, wie der Korn sich in Zukunft als Kategorie geschmacklich definieren könnte. Es könnte kaum einen Besseren, härter Arbeitenden treffen. Einen Ausflug in die rollenden Hügel Schöppingens kann ich jedem Bartender nur empfehlen um zu lernen, was Korn am hochwertigen Ende alles kann!
Doch steht Sasse schon lange nicht mehr alleine da. Eine Generation junger Brenner und teils Quereinsteiger injizieren dem angestaubten Korn seit den späten 2000ern frisches Blut. Das Korn, Steinreich, Berliner Brandstifter oder Zorn Korn sind allesamt Neuauflagen von Jung-Produzenten ohne vergleichbare Familientradtion. Teilweise gar nicht aus dem klassischen Korn-Gürtel stammend, beleben sie die bisher vor allem lokal verkaufte Kategorie mit neuer Energie. Einem, dem das sehr gut gefällt, ist Dirk Böckenhoff. Er lebt und schafft im Münsterland und betreibt neben seiner Obstbrennerei die für uns an dieser Stelle interessantere, historische Kornbrennerei in Raesfeld-Erle. Auf einer top in Schuss gehaltenen, noch originalen Kolonnendestille aus der Mitte des 20. Jahrhunderts brennt er vollverglast Korn wie vor 180 Jahren. Das gesamte Gebäude ist um die Brennanlage herum gebaut worden, das Korn für den Korn kommt direkt von den umliegenden Feldern und Böckenhoff experimentiert genau wie Sasse gerne mit diversen Unterarten der fünf für Korn zugelassenen Getreidesorten Dinkel, Roggen, Weizen, Hafer, Buchweizen. Dabei lässt sich im Vergleich viel über einzelne Getreidesorten erschmecken und offenbart auch die Vielfalt des im Wodka oft glatt gebügelten “Getreide” als Grundstoff. Gleichzeitig produziert Böckenhoff einen grundsoliden und preislich verlockenden Edel-Korn. Der findet sich inzwischen in mehreren Bars, welche selber re-destillieren oder Liköre selber ansetzen. Im Berliner Velvet beispielsweise ist es die klare Ansatzspirituose der Wahl. Und auch zu meiner Zeit im Kreuzberger Kupfer und der dort von mir betriebenen Produktionsküche nutzten wir seinen Korn gern und oft für Fruchtauszüge, Kaffeeliköre, Aerosole oder als aromatischeren Wodkaersatz.
Avantgarde oder Strohfeuer?
Hört man sich weiter bei avantgardistischen Bars wie One Trick Pony in Freiburg oder Werk8 in Basel um, scheint Korn weiter südlich noch keine Rolle zu spielen. Auch die in Kleinserie hergestellten Bitters von “The Seventh Sense” nutzen eher Cognac, Gin oder Jamaikarum für seine Bitters und Liköre.
Insofern bleibt abzuwarten, ob sich Korn noch ein drittes mal durchsetzt oder nicht über das aktuelle Interesse hinaus wachsen kann. Schade wäre es, denn er bietet eine charaktervolle Basis für regional verankerte Produkte einer (zumindest nord-)deutschen Barszene!
Dieser Artikel erschien erstmals in der Mixology Online im Januar 2020.
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