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Krakau - Polen boomt auch kulinarisch

Osteuropa boomt kulinarisch. Polen, Tschechien, die Slowakei und die Ukraine kämpfen alle um eine stärkere Identität hinter Herd und Bar. Ich bleibe eng an diesem Trend und berichte. Dieses mal von Neuerungen und Speerspitzen im Weltkulturerbe Krakau.



Ganz oben - unten am Fluss

Über jahrhundertealtes Kopfsteinpflaster schlitternd, teilt sich Krakau für uns recht zügig in drei unterschiedliche Stadtgebiete auf. Die überaus touristische Altstadt, der jüdisch geprägte Teil Kazimierz und jener Innenstadtteil, welcher beide dieser ehemaligen Zwillingsstädte umschließt. Sie kreisen um das zentrale, auf einem Hügel alles überblickende Stadtschloss Wawel, welches sich in tausend Lichtern und dicker Schneedecke wie der japanische Traum Mitteleuropas inszeniert. An vielen Ecken werden von Mütterchen lokale Backwaren angeboten und der Duft von frisch geröstetem Kaffee sowie frisch zubereiteten jüdischen Spezialitäten weht uns um die Nasen.

Der Stadtteil Kazimierz liegt unterhalb der Altstadt auf Flussniveau und lockt mit dem Großteil der von uns recherchierten oder empfohlenen Bars. Wir beginnen rhetorisch “ganz oben” auf unserer Liste - im Restaurant Zenit.

Krakauer Gastronomen beweisen größeren Mut als ihre deutschen Kollegen bezüglich Restaurantbars und positionieren ihre Tresen oft selbstbewusst, zentral im Raum. Wir würdigen diesen Mut und vertiefen uns direkt an der Bar sitzend in die Karte, zügig eine gewisse Kooperation zwischen Küche und Bar erkennend.

Zügig übernimmt jedoch der Bartender aktiv die Regie und erklärt etwas schuldbewusst die anstehende Neuerung der Karte. Und bietet uns daher mündliche Vorschläge. Wir nehmen gerne einen Scotch Old Fashioned mit wirklich wunderbar weihnachtlich gewürzten Haus-Cordial aus drei verschiedenen Zitrusfrüchten. Weiterhin entscheiden wir uns zu einem leichten “Veilchen Sour” mit lokalem Wodka.

Die Emsigkeit des Bartenders und die Reinlichkeit der gesamten Bar sind ebenso zielstrebig wie die Spirituosenauswahl: wenige, ausgewählte Gin, Rum und Single Malts - dafür jedoch überproportional viele Liköre. Wir süffeln unsere gelungenen Drinks und bemerken, dass hier scheinbar heiße Cocktails en vogue sind. Fast pausenlos wird die Kaffeemaschine zur Erhitzung diverser Drinks bemüht. Toddies, Grog oder Buttered Rum sind es jedoch nicht, sondern eher winterlich angehauchte Tikidrinks. Welche großzügig von der Likörauswahl Gebrauch machen. Unglücklicherweise steigt auch in unseren Gläsern aufgrund unterdurchschnittlichem Eises schnell die Temperatur. Der einzige Minuspunkt in unserem ansonsten angenehm unprätentiösem Besuch “auf” dem Zenit.



Speakeasy-Schnitzeljagd

Vom Zenit aus passieren wir diverse Synagogen auf unserem Weg zu Le Scandale und Alchemia. Trotz Empfehlung können wir uns jedoch nicht dazu durchringen, uns hier niederzulassen. Sie wirken doch zu touristisch. Eine Eigenschaft, welche uns schon in der Altstadt rund um den Markt fast alle Läden verhagelte.

Also begeben wir uns auf die Suche nach dem jüngsten Mitglied der auch hier brandaktuellen Speakeasies. Z ust do ust bedeutet "von Mund zu Mund" und schafft es tatsächlich, bis dato im Netz komplett adresslos zu bleiben. Nur anhand der Wegbeschreibung von Freunden fühlen wir uns fähig, den minimalen Erklärungen aus Facebook zu folgen.

Wir erklimmen einen dunklen Hausaufgang, um einen verr(a)uchten Billardsalon zu finden. Auf der Toilette trauen wir uns in die "außer Betrieb" gesetzte Kabine und erreichen, Baustrahler und Mörtel überwindend, tatsächlich die überraschend poppige Z ust do ust. Unsere Ohren erst einmal an Pop-Schmonzetten gewöhnen müssend, werden wir jedoch gleich herzlich empfangen und an den Tresen gebeten.

Nach kurzer Identifikation unserer Geschmäcker wird die polnische Karte wieder eingezogen. Und uns zu 80er Discosound ein Blood and Sand mit polnischem Kirschlikör sowie eine Verbindung aus Wodka, Honig und Kamille kredenzt - mit ausschließlich lokalen Zutaten.

Wir lernen über das Steckenpferd "from Poland with love" unseres Bartenders Andrzej, welcher zuvor jahrelang als Bols’ Markenbotschafter wirkte. Er arbeitet an einer stärkeren Wahrnehmung regionaler Produkte durch die polnischen Bartender, organisiert dafür nach eigener Auskunft landesweit diverse Workshops und Vorträge.

So kommen wir in den Genuss mehrerer Kostproben. Diese Gastfreundschaft und Hingabe nimmt uns ein und wiegt auch die inhaltlich etwas überholte Getränkekarte wieder auf.


jüdische Inspirationen

Auf diese frühabendlichen Drinks lassen wir gerne lokale Speisen folgen. Cholent, gefilte Fisch und ein Berg Schwarzbrot mit sauer eingelegtem Gemüse erfreuen sowohl Gaumen und Magen in einem der vielen jüdischen Restaurants. Erfrischt brechen wir auf und finden im Obergeschoss eines mittelalterlichen Hauses die Bar Sababa. Schon beim Eintreten durch die für heutige Körpergrößen zu kleinen Türen wird uns eine große Detailliebe und Aufmerksamkeit erregende Materialwahl bewusst. Die Tanzfläche umschiffen wir und setzen uns an noch freie Plätze an der Bar. Wir lernen die charismatischen und energetischen Daniel und Krzysiek hinter der Bar kennen und begeistern uns für zwei Desserts der Karte:

Tahini, Rum, Haselnüsse und Vollei schmecken voll, rund und finden trotz einer so komplizierten Zutat wie Tahini eine beneidenswerte Balance aus süß und trocken. Unsere zweite Wahl basiert auf einem sehenswert geschütteltem Bourbon, welcher mit Kaffee und Dattelsirup gepaart wird. Auch dieser, durchaus erwachsene, Drink geht wunderbar leicht die Kehle hinunter, auch wenn wir uns eine noch prominentere Dattel wünschen würden. Ob Filterkaffee oder cold brew benutzt wurden ging leider später im Nebel der Nacht verloren. Schade. Denn die Krakauer Kaffeekultur ist beachtlich und kann sowohl mit charmanten Röstereien, als auch allen Spielzeugen der Third Wave Coffees aufwarten.

Die gebliebenen Eindrücke von Sababa sind jedenfalls warme Gastfreundschaft und konsequentes Design - bis hin zu Strohhalmhalter, Kartenrücken und schicken Barschürzen.


Zum Ursprung der Krakauer Speakeasies

Unsere nächtliche Cocktailexkursion treibt uns stromaufwärts zur Quelle der Krakauer Speakeasywelle. Wir folgen alten Tatra-Straßenbahnen durch kopfsteingepflasterte Gassen um auf die andere Seite des in Weihnachtsbeleuchtung erstrahlenden Stadtschlosses zu gelangen. Wir finden schließlich das Restaurant, welches den Eingang zur Bar Mercy Brown verbirgt. Ganz im Sinne der Speakeasies wird uns die Suche im Restaurant nicht leicht gemacht. Doch bittet uns schließlich ein Wachmann kopfnickend durch eine verwaiste Garderobe in eine kleine Hintertür, hinter welcher sich uns das filmreife Bar-Kleinod eröffnet.

Glücklicherweise erwischen wir einen ruhigen Tag und so ermöglicht uns wundervoll gekleidetes Personal noch, in der ausschließlich Sitzplätze anbietenden Bar Stühle an der Bar zu erheischen.

Nach kurzem Studium der sich klar mit food pairing identifizierenden Karte entscheiden wir uns für einen armenischen Brandy, welcher flott mit Pedro Ximenez Sherry und Zigarrenrauch aromatisiert wird. Hier wünschen wir uns einen Tick mehr PX, dafür ist der Rauch wunderbar dezent und erschlägt den Drink nicht, wie oft von unerfahreneren Bars missverstanden. Olek macht uns zusätzlich noch eine Runde Picklebacks als Weihnachtsgeschenk und unterstreicht so die umgängliche, unkomplizierte Art dieser dem Aussehen nach eher Respekt einflößenden Bar. Mercy Brown setzt für uns alle Häkchen, ist ein Juwel der Barkultur und kann sich mit jeder Bar Europas messen.


Wir begannen diese Tour auf dem Zenit und endeten auf dem Höhepunkt der Krakauer Cocktailszene. Ein paar exzellente Kaffees und jüdische Spezialitäten rundeten das Bild einer überaus besuchenswerten Stadt ab. Ein weiteres Prost auf die so wunderbar Schwung holende, osteuropäische Barkultur!



Dieser Artikel erschien erstmalig im Februar 2017 in der Mixology Online.

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