Taipeh, Taipeh … Wo liegt noch mal Taipeh? In Europa bisher nicht auf der Cocktailkarte verzeichnet, hat sich Taipeh innerhalb Asiens schon einen ordentlichen Ruf erarbeitet. Die Hauptstadt Taiwans ist dank lang anhaltendem Wirtschaftsboom und hoch gebildeten Bürgern auf dem Weg, die asiatische Cocktailszene um einen weiteren Fixpunkt zu bereichern.
Landet man auf Taipehs internationalem Flughafen, wird einem schnell die Energie und Kultiviertheit Taiwans bewusst. Die Busfahrt in die Stadt ist überaus beeindruckend und erinnert vielmehr an Hong Kong, als beispielsweise an Peking. An im tropischen Dunst glitzernden Hochhaussiedlungen vorbei und über leuchtende Magistralen, flitzt man in eine junge, moderne Millionenmetropole, die schon bei der Einfahrt Zivilisation mit tropischem Flair verbindet. Hier treffen sich östliche und westliche Einflüsse permanent in der Attitüde der Einwohner, ihrer Küche und auch ihren Bars – Taiwan schöpf kulturell und kulinarisch aus dem Vollen.
Oase im Partywirbel
Im Ausgehviertel Xin Yi finden wir am Fuße des dem Bambus nachempfundenen Taipei101-Wolkenkratzers unsere erste Empfehlung: Barcode. Die Getränkekarte dieser Institution Taipeis lässt zwar Ambition erkennen. Doch scheint diese Bar von vornherein eher als Club angelegt worden zu sein und dementsprechend konditioniert ist leider auch das Personal. Brandy Crusta und Coffee Cocktail sind für einen Club zwar gar nicht übel. Doch reizt uns das hiesige sehen-und-gesehen-werden zu angestaubten Houseklassikern nicht und wir verabschieden uns wieder zügig.
Auf der Rückseite des gleichen, mit Bars und Clubs gefüllten Blockes, findet sich das für seinen Stil gefeierte Hotel Home. Auch hier gibt es im Erdgeschoss eine schön gebaute, doch überaus flach und laut beschallte Abschleppbörse. Wir stellen schon die Quelle unserer Empfehlungen in Frage, bis wir unser Ziel in der dritten Etage finden: Bar Marsalis.
Der uns empfohlene Bartender Kae ist inzwischen zwar schon nach Singapur weiter gezogen. Doch werden wir von einem jungen Jeremy Hsu bedient, der uns angenehm dezent, doch jederzeit präsent einen Ramos Gin Fizz und Name Of Samurai serviert. Letzterer ist eine mit Shiso und japanischem Kakuwhisky zubereitete Kreation des Hauses, sehr erquicklich in der feuchten Hitze Taiwans und eine erfrischende südostasiatische Mint-Julep-Variation. Der Ramos Gin Fizz wird mit einem auf Maß zugeschnittenen Eisstab gekühlt, leidet jedoch an der etwas weniger hohen Qualität des Shake-Eises. Ansonsten gibt es überhaupt nichts auszusetzen am immer präsenten Service, der anspruchsvollen Barmusik und der Getränkeauswahl. Die Bar Marsalis ist ein gutes Beispiel für eine stilvolle Altherrenbar, die aber überaus jung und modern ist!
Speakeasy auch in Fernost
Nur zehn Fußminuten entfernt, auf der anderen Seite des omnipräsenten, über 500m hohen Taipeh101 gelegen, betreten wir die Bar Alchemy. Nach einem verbalen „Haben Sie eine Reservierung?“-Tanz mit den anmutigen Empfangsdamen, verhilft uns schließlich der hier wirkende Angus Zou zum Eintritt. Stilecht verschiebt sich eine als Buchregal getarnte Geheimtür und lässt uns ein in die Trinkhöhle über dem Restaurant Marquee. Die Karte umfasst auf Klassikern basierende Variationen, die oft auf ungewöhnliche aber elegante Weise präsentiert werden. Wir entscheiden uns für einen New York Sour und einen weiteren auf Shiso basierendem Alchemyoriginal. Letzterer ist ebenso großartig wie in der vorangegangenen Bar und wir fragen uns, wer von wem „inspiriert“ wurde? Der New York Sour ist ein hervorragender Sour, wird jedoch leider mit Port bereitet und lässt damit den erhofften, trockenen Biss eines passenden Rotweines vermissen.
Im Fazit ist dies also schon die zweite, wunderbar junge Bar im Altherrengewand mit bestechenden Drinks. Leider ist die Atmosphäre etwas trocken und Angus Zou der einzige, Gastfreundschaft versprühende, Mitarbeiter. Und so bildhübsch auch hier wieder die Bedienungen sind, wäre vielleicht etwas mehr Qualität und Erfahrung als Einstellungskriterium wünschenswert.
Betörende Energie
Wenige Blocks entfernt befinden wir uns schon wieder in intensivem Dialog mit Wegbeschreibungen und Karte. Unser Chinesisch lässt zu wünschen übrig und so finden wir nur mit Glück die Bar Backyard. Hier werden wir jedoch gleich in fließendem English und mit überwältigender Energie im Sturm eingenommen! Drei Bartender und zwei Bedienungen geben derartig Gas sich in unsere Wünsche einzufühlen, dass wir uns wie langjährige Freunde vorkommen. Da diese Bar angeblich eine der größten Whiskyauswahlen Asiens vorweist, lassen wir uns gerne Whiskycocktails empfehlen. Hervorragende Yoichi Pure Malt Rusty Nail, Tobermory 1798 Rusty Nail und zwei weiblichere, nicht näher bekannte Drinks später ist der Laden noch immer prallvoll und Besitzer Steven Lin sowie Barchef Silence genießen es sichtlich, schwitzend und unter Hochdruck jeden noch so ausgefallenen Gastwunsch in ein Getränk übersetzen zu können.
Hier ist zwar das Ambiente etwas weniger ausgefeilt, doch die Getränke technisch und geschmacklich erneut großartig und die Stimmung derartig herzlich und aufgeladen, dass wir gerne wieder kommen wollen!
More bounce for the Ounce?
Einer kurzen Rast am Straßenrand bedarf es nun. Kostproben der berühmten taiwanesischen Straßenküche löffelnd, stellen wir fest, dass man hier zwar für 3 Euro pro Person sehr gut und delikat satt wird, für die bisher beschriebenen Drinks jedoch 10 Euro aufwärts hinblättern muss – ein (ausnahmsweise) unwohl schmeckender Wermutstropfen.
Frisch gestärkt machen wir uns nun auf die Suche nach der letzten Bar namens Ounce. Die Adresse haben wir dieses Mal parat, doch befindet sich hier ein Kaffeeladen! Nur mit Hilfe der Barista hören wir schließlich Stimmen hinter dem Klo, finden die Klingel und dann sind zum Glück auch noch zwei Plätze frei. Und so werden wir – an einem Whiskyfass sitzend – auch hier wieder auf die nicht vorhandene Karte hingewiesen und erklären gerne unsere Vorlieben. Mit kundiger Routine werden wir durch die Empfehlungen der Bedienung geführt. Selbige stellen sich auf Nachfrage leider als nicht sehr umfangreich heraus. Doch sind die Vorschläge vollkommen ausreichend und wir stimmen gerne einem japanischem Old Fashioned und Bourbon Sour zu. Beides sind überaus solide, sogar sehr gute Drinks. Doch lässt der japanische Old Fashioned den angegebenen Ingwer nicht erschmecken und der Bourbon Sour läuft in seiner Machart den bekundeten Wünschen leicht entgegen.
Nichtsdestotrotz finden wir auch hier wieder guten Service, überaus hohe Arbeits- und Cocktailqualität sowie wirklich tolles Ambiente im Speakeasy-Stil.
Wir halten also fest: Taipei ist im Speakeasy-Fieber und hat wirklich tolle Bars ins Mondlicht befördert! Wir sind glücklich, hier getrunken zu haben und verstehen den innerasiatischen Hype um Taiwan und seine Bartender nun noch besser.
Bar Marsalis (3. OG des Home Hotel)
Songren Road 90, Xin Yi Distrikt, Taipeh
Täglich 19–2 Uhr geöffnet, Fr und Sa 19-3 Uhr
Bar Alchemy (über Restaurant Marquee zu erreichen)
Xin Yi Road Sektion 5 Nr. 16-1, Xin Yi Distrikt, Taipeh
Mo – Sa 21 Uhr bis 2:30 Uhr
Bar Backyard
Lane 23 Nr. 4, Anhe Road, Sektion 2, Taipeh
Öffnungszeiten leider nicht recherchierbar
Bar Ounce (hinter dem Espressoladen)
Lane 63 Nr. 40, Sektion 2 Dunhua South Road, Daan Distrikt, Taipeh
Mo-Sa 19-2 Uhr
Dieser Artikel erschein erstmalig in leicht veränderter Form in der Mixology am 12.06.2014.
Comments