Rum! Gin! Whisky! Deutschland! …What?
Terroir. Terroir! Alle haben sie inzwischen Terroir! Wein natürlich. Sake inzwischen auch, nachdem sie fast ihr gesamtes Markt-Terroir (ha!) an die europäische Weine verloren. Säfte und inzwischen sogar Rinder und Schweine haben Terroirs. Nun also auch Schnaps. Ich schaute genauer hin, lasse ein paar Tropfen auf der Zunge kreisen. Und fragte mich: Warum gibt es in Deutschland eigentlich über 17.000 Destillerien?
Rum und Geschichte
Wenn ich in meiner Bar Kupfer in einer eher zwielichtigen Ecke Berlin Kreuzbergs von Deutschem Rum erzähle sind die smarten Kommentare nicht weit: “Wo wächst denn bitte in Deutschland Zuckerrohr?” oder “Muss man denn jetzt alles nachmachen?” Die Antwort darauf ist auch immer schnell gegeben und geschluckt: Zuckerrohr wächst nirgendwo außerhalb der Subtropen und Tropen und wird demnach als Melasse oder Zuckerrohrsaft direkt importiert. Und nachmachen muss man das “jetzt” nicht, aber besser machen kann man ja versuchen. Tut man auch schon etwas länger. Denn bereits ab dem 18. Jahrhundert wuchs (das damals noch dänische) Flensburg zur europäischen Rummetropole mit 300 Destillerien heran.
Insofern nehmen junge deutsche Brenner eigentlich den lange hängen gelassenen Faden vielmehr nur wieder auf, anstatt “alles nachzumachen”. Eine diesen Weg auf neue und interessante Art beschreitende Brennerei ist Spreewood Distillers, welche im Spreewald vor den Toren Berlins jungen und gelagerten Rum anbieten. Dreijährige Lagerung in US-amerikanischen, Sauternes- oder badensischen Weinfässern geben ihm einen runden Schliff und bringen dem Feuerfalter genannten Rum Würze als auch dezente Süße bei.
Der zweite Rum wird als Weißling ebenso nach einem Spreewälder Schmetterling benannt.
Dieser sehr junge, nur sechs Wochen in Stahltanks gelagerte Rum hingegen bedient sich ganz offensiv der extrem ausgereiften, feinen Deutschen Brennerkunst aus dem Reich der Obstler. Und kreiert damit einen unglaublich leichten, floralen Rum der sich merklich von allen anderen Lateinamerikanern abgrenzt. Es wurde sich aktiv abgewandt von den in der Karibik populären vanilligen, toffeeigen oder schokoladigen Aromen. Wodurch die im Weißling so prominenten fruchtigen Aromen aus der Melasse gekitzelt werden. Dies sorgt für eine Offenbarung an trockener Blumigkeit dank höchst ungewöhnlichem Pfad. Denn meistens werden noch stark zu alternde Spirituosen eher etwas unsauber gebrannt um Ecken und Kanten zu erhalten. Jene werden dann durch Jahre der Fasslagerung noch abgeschliffen und verleihen dem Rum oder Whisky seinen markanten Charakter.
Kräuter und Marketing
So reichhaltig der deutsche Ginmarkt auch geworden ist und auch international für Furore sorgt: Am Ende sind es doch nur die immer ähnlichen Werbetexte bezüglich “den besten Gewürzen aus aller Welt”, “Liebevoll zusammen getragene Kräuter” und Großmutters Rezept, welches auf irgend einem Dachboden wieder gefunden wurde. Und “damals” natürlich der Knaller war und alle sich die Augen ausweinten, sollten sie mal keine Flasche dieses göttlichen Elixiers ergattert haben können. Nun ja, wenn man damit 300 Millionen Euro erzielen kann, warum nicht. Aber für diesen Artikel fehlen hier lokale Ankerpunkte. Wo sind die Gins auf der Basis von Sauerampfer? Wo sind Kresse, Birke, Rhabarber oder Campher? Einschlägige Hopfen-Gins sind hochwertig, doch schmecke ich darin leider so wenig Hopfen wie in Laird’s Applejack Apfel. Vielleicht ist meine Zunge schon verstopft, vielleicht muss das aber auch einfach nur mal ausgesprochen werden. Erwähnenswert regional sind meiner Meinung nach also nur Windspiel und Ferdinand - auch wenn die Preise Tränen in die Augen treiben. Erfrischend mutig ist zumindest Moor Gin aus Kolbermoor. Sie bauen Wacholder ganz gezielt in ihrem sonst nicht nutzbaren Moor an. Weil durch die feuchten Böden sehr saure und unter Umständen zitrussige Wacholderbeeren in geringen Mengen wachsen. Mutig mazerieren und destillieren sie nur diese eine Zutat trotz monobotanical-Philosphie zu vielschichtigem und erfrischendem Gin.
Doch warum sehe ich darüber hinaus keinen Gänseblümchen-Kapuzinerkresse-Gin mit Mecklenburger Wacholder (der beispielsweise neben den Badestellen der Seenplatte nur so wuchert) für erfrischend Frühjahrs-Collinses? Dafür wäre doch mal Platz in meinem Rückbuffett. Im Gegensatz zu noch einer Bombay Sapphire-Kopie mit Koriander, Galgant und Safran.
Oder warum nutzt keiner verschiedene Wässer in der Destillation? In Kapstadt lernte ich beispielsweise eine Destillerie kennen, welche Ihren Gin Amari abwechselnd mit Wasser aus dem Atlantischem oder Indischen Ozeans verarbeitet. Nun, DASS nenne ich mal Neues Terroir! Wie wäre es mal mit einem Nordsee-, Ostsee- und Elbgin? Wäre das nicht mal was für Euch, Gin Sul?
Holz und Tradition
Abgesehen von spitzem Wasser verfügen deutsche Brenner auch über einzigartiges Korn, Brot und Bier. Und da Bier eigentlich nur gebittertes, fermentiertes Brot ist und Whisky wiederum destilliertes, ungebittertes Bier, ist der Schritt zum Whisky nur ein logischer. Und sollte eigentlich zu top Whisky aus hiesigen Breiten führen.
Großartige Vertreter dieser neuen deutschen Whiskykultur sind quer durch die Republik zu finden: Der hochprämierte Finch aus der Schwäbischen Alb, Pionier (und deutscher Single Malt-Marktführer) Slyrs in der Nähe des Kufsteins, die Feinbrennerei Sasse aus dem Münsterland und auch wieder die Spreewälder mit Ihrem prämierten Rye sind zu allererst zu nennen. Slyrs öffnete die Tore mit guten Produkten und gutem Marketing bereits 1999. Und ebnete somit das Terrain für die Neulinge der Szene. Finch, ein weiteres deutsches Spitzenbeispiel und ebenso 1999 von Hans-Gerhard Fink gegründet, schafft es mit seinen kleinen Chargen immer wieder auf Siegertreppchen bei diversen Preisverleihungen.
Im Geburtsort dieser beiden Whiskies, dem deutschen Süden, befindet sich der Großteil der Tränen in die Augen treibenden Anzahl von 17.806 offiziell gelisteten Brennereien im Jahr 2016. Hier schlägt seit Generationen das Herz der Obstler-Brennkunst. Im Norden hingegen gingen aufgrund des Niedergangs von Korn und Aquavit in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und der Zäsur der DDR viel Wissen verloren.
Dieses Fehlen von Tradition ist teilweise aber auch ein Vorteil, bringt sie doch keinen Ballast mit und erlaubt neue Herangehensweisen. So sehen wir zum Bespiel einen unüblich charakterstarken, wunderbar toffeeigen, vanilligen und nach Roggenbrot duftenden Roggenwhisky von Spreewood Distillers. Sowohl für den Rye, als auch deren Single Malt greifen die Besitzer auf Getreide der umliegenden Agrargemeinschaften zurück und nutzen gefiltertes Spreewasser. Diese regionalen Zutaten (und teils aus Baden stammenden Weinfässer zur Lagerung) sorgen In Verbindung mit dem sehr speziellen regionalen Klima für würzige und gleichzeitig wohl ausgebaute Whiskys mit angenehmen Schmelz.
Mit 48,2 Volumenprozent kommt auch von der Feinbrennerei Sasse aus dem Münsterland ein trockener, leicht nussiger Leberhaken in die Flasche. Welcher das noch geringe Alter der erst kürzlich wieder eröffneten Brennerei vergessen macht.
Überaus interessant ist auch ein Experiment der sachsen-anhaltinischen Brennerei Zeitz aus dem gleichnamigen Ort. Daniel Rost füllt hier einen Getreidebrand und getorften Malt in kleinen Chargen in diverse Fässer ab: Port-, Oloroso-, Bourbon-, Rumfässer, und sogar den unüblichen französischen Süßwein Banyuls, lässt er seine Brände Charakter verleihen. Das hochgradig interessante daran: Rost zieht jährlich eine Charge ab und so kann man einzigartig in die Reifung der beiden Whiskys in Jahresschritten hinein-kosten. Ein überaus verfolgenswertes Experiment, was hier in den Kinderschuhen steckt.
Und so kristallisiert sich zwischen Alpen und Küste langsam aber sicher ein dritter Europäischer Stil heraus - nach dem Britisch-Irischem und inzwischen durchaus nennenswerten Skandinavischem.
Schlussendlich
Ich schließe also mit einem zweigeteilten, doch beidseits positiven Ausblick. Auf der einen Seite stehen die aufgrund unterbrochener Geschichte neu beginnenden und quirligen Brenner im Norden Deutschlands. Im Süden stehen Ihnen Tradition und einzigartige Brennkunst gegenüber, welche seit Generationen Spitzenprodukte hervorbringt und weiter an ihnen feilt. Ein feiner Ausblick. Für Gaumen und für Leber - Prost.
Anmerkung: Dieser Artikel erschien zuerst in der Printausgabe der "Schluck - das anstößige Weinmagazin" im Frühjahr 2018.
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