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Die (2014) jungen Wilden der Tokioter Cocktailszene

Viel wird geschrieben und gesprochen über die japanische Barszene. Immer mehr Bars und Bartender aus dem Land der aufgehenden Sonne erhalten internationale Aufmerksamkeit. Die meisten Berichte und Lobpreisungen beziehen sich jedoch auf die weltberühmten Bars im Ginza-Bezirk, nur wenige erforschen die davon abgelegenen Wasserlöcher. Ein Streifzug durch die neue Generation der Tokioter Bars.


Der Bezirk Ginza wurde einmal beschrieben mit „… lässt Fifth Avenue aussehen wie eine kleine Nachbarschaft.“ Diesem Vergleich folgend können wir den Bezirk Shibuya wohl mit „ … lässt Times Square aussehen wie einen Lampenladen“ umschreiben.


Saisonal ist Trumpf


Hier treffen sich Schwärme von Sailor-Moon-Lookalikes und Plastikschwerter schwingende Knaben, um die Nacht zum Tage zu machen. Im direkten Umkreis der verkehrsreichsten Fußgängerkreuzung der Welt befinden sich jedoch auch genügend Bars, die einen Besuch von Connaisseurs wert sind. Treiben wir also durch das Getümmel, über einige Überführungen und unter Schnellstraßen hindurch, finden wir in Laufweite des zweitgrößten Bahnhofes der Welt die Bar Ishi No Hana.

Diese Bar hat sich einen guten Ruf in der neuen Riege der klassischen Bars erarbeiten können. Preisgekrönter Besitzer Ishigaki-san kreiert hier Cocktails, die sich vornehmlich auf frisches Obst und Gemüse konzentrieren. Generell sind Japaner stark saisonal orientiert. Doch findet man in der Mitte dieses Tresens immer einen besonders großen Korb mit frischem Grünzeug – gerne auch vom familieneigenen Bauernhof. Daher bestellen wir hier natürlich gerne saisonal ausgerichtete Drinks – Yuzu-Estragon-Gimlet und Kirschblüten-Martini. Beide sind sanft im Geschmack und definitiv ungewöhnliche, doch leckere Kreationen. Wir genießen die Atmosphäre in dieser hochklassischen Bar, doch suchen eigentlich nach Modernerem. Am Aufmerksamkeit erregendsten ist hier wohl die Dekoration der Getränke. Diese passt in Größe und Aufmachung jedoch leider eher in die Neunziger, und so bleibt es lieber bei nur einer Runde Drinks für uns.




Versteckte Juwelen


Saisonal erfrischt treten wir daher aus dem Keller heraus und tauchen wieder in die Betonfluten ein. Eine Taxikurzstrecke lässt uns komfortabel durch das Neonreklamenmeer treiben und setzt uns im nächsten Ausgehviertel Ebisu vor der Bar Trench wieder ab.

Diese in einer Seitengasse versteckte Bar, ist eine der wenigen von der Straße aus einsehbaren Bars Tokios und hätte eine Inspiration für Edward Hoppers „Nighthawks“ sein können. Das Rückbuffett ist mit Hunderten von – teilweise überaus speziellen – Spirituosen bestückt und erstreckt sich auf fünf Metern Höhe. Über dem Umlauf auf halber Höhe stapeln sich dann Bücher und allerlei Devotionalien, die gerade genug Platz lassen für gelegentlich hier spielende Musiker. Lediglich zwölf Sitzplätze ermöglichen es dem Doppel hinterm Tresen, Service auf dem Niveau der Topbars in Ginza zu bieten.

Gleichzeitig wird hier jedoch auf nicht allzu formelle Atmosphäre Wert gelegt. Dies spiegelt sich auch in der Getränkeauswahl wider. Eine permanent wechselnde Karte spielt mit selbst gemachten Marmeladen, Bitters, Sirups und Infusionen, nutzt allerlei Gewürze, Kräuter und sogar Eiswürfelgravuren als Dekoration. All dies sorgt für eine treue Stammkundschaft, die den Großteil der Gäste ausmacht. Das großartige Barfood genießend, sitzen neben uns der Chefredakteur der Japan Times und eine Sake-Sommelière und wir lassen uns zu Acai Daiquiri und Oh Henry beraten. Der blutrote, seidig-glänzende Acai Daiquiri ist mit Blattgold dekoriert und wohl der sexieste Drink, den wir je sahen. Der Oh Henry ist dem Savoy-Cocktailbuch entnommen und wird mit selbst gemachtem Ginger Ale zubereitet. Runde zwei besteht aus einem wunderbar nussigen Old Fashioned mit kandierten Kumquats, auf Basis von Noah’s Mill Bourbon und einem Basil Smash mit hauseigener Birnen-Blauschimmel-Marmelade. Hamburgs Le Lion wäre stolz auf diese Variation des japanischen Besitzerduos, um den international erfahrenen Rogerio-san!


Molekulare Neuerungen


Aus diesem Trinktempel müssen wir uns jedoch leider schon verabschieden – es gibt noch viel zu kosten! Aus der Tür schreitend, tragen wir neue Leuchtreklame-Schutzcreme LSF 50 auf und schwimmen durch Ströme aus Salary Men und makellos gekleideten Schönheiten. Es geht weiter Richtung Akasaka. Hier finden wir die vielleicht experimentierfreudigste Bar des Landes: Codename Mixology. Am Eingang begrüßt uns nicht nur der Besitzer, mit seinen Spielzeugen wie z.B. eine Rotovap, also einem Rotationsverdampfer.

Wunderschön gebaut fühlt man sich im Holzambiente gleich heimisch und versinkt wohlig in den tiefen Sesseln an der Bar. Die Karte ist überaus umfangreich, für Japaner eventuell überfordernd. Daher finden wir hier auch viele Nichtjapaner, die sich auf geschmackliche Herausforderungen stürzen. Wir entscheiden uns ohne Umschweife für den Rotwein-Parmesan-Martini und Trüffel-Erdbeer-Martini. Beide Kombinationen klingen waghalsig, doch sie funktionieren großartig! Der Trüffel-Erbeer-Martini ist farblos, stark, wunderbar trocken und damit alles andere als ein Mädchendrink Dem Team um Nagumo-san gelingen hier zwei Kunstwerke, welche unter Umständen die besten Aperitifs sind, die von uns gekostet werden durften. Eine Rückkehr an diesen Tresen ist garantiert!


Japanisches Understatement


Aus der Geborgenheit dieses Wasserloches, lassen wir uns durch die Nachtschwärme des momentan hippen Akasaka in das von ungehobelten Amerikanern überflutete Roppongi treiben, um auf der anderen Seite dieses Ausgehozeans an der Küste Azabu-Jubans zu landen. Hier tauchen wir ein in die Shintoschrein-ähnliche, nüchterne Klarheit von Gen Yamamoto’s selbstbetitelter Bar.

Hier wird jeder Cocktail vom weiß bekittelten Besitzer persönlich akribisch zubereitet. Wir entscheiden uns für das Vier-Cocktail-Menü und schnell wird bewusst, dass er es mit Geschmack ganz genau nimmt. Minutiös wird mehrfach fein justiert und gekostet, bis jegliche Nuance abgestimmt ist. Sake (und sogar dessen Schaumwein), Shochu, Wasabi und lokales Obst und Gemüse finden allesamt den Weg in den (nie zum Shaken genutzten) Shaker und ergeben in der Tat überaus geschmackreiche Mixturen. Wir erfreuen uns hier an ungewöhnlichen, leckeren Verbindungen in unseren Gläsern, die mit keinem bisher gekosteten Drink vergleichbar sind.

Leider ist die Atmosphäre überaus trocken und wir finden Unterhaltung ausschließlich innerhalb unserer Gläser. Jene unglaublich fein ausbalancierten Drinks und der gesamte Stil sowie die Atmosphäre dieser Bar, führt die bisherige Entwicklung der japanischen Barkultur einen Schritt weiter und ist somit für jeden Interessenten dieser Szene ein anzulaufender Hafen.




Betrachten wir abschließend diese Seite des japanischen Bartendings durch den (inzwischen schon reichlich verschwommenen) Boden unseres Glases, stellen wir fest, dass Tokio aufwacht und sich einiges tut. Ginza ist zwar noch immer der Leuchtturm, doch kommen die Impulse und Neuerungen fast ausschließlich und in großem Umfang von außerhalb. Und dort gibt es inzwischen allerhand zu kosten und zu entdecken!


Dieser Artikel erschien zuerst in der Mixology am 18.05.2014 - und ist in dieser Form inzwischen sicherlich nicht mehr auf dem letzten Stand!


Ishi No Hana

3-6-2 Shibuya (Untergeschoss), Shibuya

150-0002 Tokio

Mo-Sa 18:00-2:00 Uhr



Codename Mixology

3-14-3 Akasaka (2. Etage), Minato

107-0052 Tokio

Mo- Fr 11:30-14:00 Uhr und 18:00-2:00 Uhr

Sa 18:00-2:00 Uhr


Gen Yamamoto

1-6-4 Azabu-Juban, Minato

106-0045 Tokio

Di-So 15:00-24:00 Uhr

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