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Weltklasse oder Weltklüngel?


Die weltbesten 50 Bars. Bartender des Jahres. Spirituose des Jahres. Gesponsert von teils milliardenschweren Marken. Immer neue Bars ganz oben mit den gleichen Betreibern. Wir stellen uns die Frage, inwieweit die inzwischen globalisierten Bewertungsverfahren noch mit Ihren ursprünglichen Vergabekriterien objektiv zu handhaben sind. Oder ob es auch hier Zeit für eine kühle Betrachtung und daran anschließende Professionalisierung ist.



Plausibilität und Objektivität


Objektivität von Subjektivität zu trennen fällt uns Menschen schwer. Wir alle halten allzu oft unsere Sicht auf die Dinge für die allgemeingültige Wahrheit. Argumente, Lebenserfahrung und Stimmung fließen ein in das permanent abgeglichene Gerüst unserer Meinung und so führt man sich selbst hinters Licht, dies dann für abgewogen recherchiert zu halten. Dies trifft übrigens auf emotionale Themen wie Lebensgenuss viel stärker zu als auf Technisches. Daher lässt sich einfach verifizieren, welches Auto schneller fährt. Doch wie misst man die Qualität eines Drinks? Wie die Atmosphäre in einem Restaurant oder einer Bar – oder gar die Professionalität eines Gastgebers? Und wer darf hier seine Stimme abgeben? Wie groß ist der Erfahrungsschatz des Abstimmenden? Gibt es etwa Katalysatoren, die den Fokus Ihren Interessen entsprechend lenken? All dies sind Fragen, die in einem wirklich standardisierten, objektiven Bewertungsverfahren berücksichtigt werden müssten. Begeben wir uns also auf die Reise durch “die Besten Bars”, einigt man sich sicherlich auf das obere eine Prozent. Doch welche ist die zehnt-, welche die zwanzig-beste Bar? Und kennen wir sie tatsächlich alle, die großartigen Bars, um eine solche Liste umfassend erstellen zu können…?


Schwarmintelligenz oder Elfenbeinturm?

Entwürfen wir drei unterschiedliche Wahlmethoden, Ihre Resultate wären wohl sehr verschieden. Würden wir allen Bargängern Deutschlands je eine Stimme geben, oder allen Bartendern. Oder 20 Connaisseurs und Spezialisten: Die drei Top Ten-Listen würden sich wohl sehr unterschiedlich zusammensetzen! Doch wer hat “Recht”? Und warum?

Um sowohl aus einem breiten Erfahrungsspektrum schöpfen zu können, als auch maximale Erfahrung ins Boot zu holen, ist wohl eine Mischform klug. “Der Schwarm” identifiziert eine große Anzahl von lohnenswerten Bars, Bartendern, Gastgebern oder Spirituosen. Jene wird auf Mehrfachnennungen gefiltert und dann einem überschaubaren Expertenkreis vorgelegt. Eine gewisse Zeit der Verifizierung (so benötigt) sollte eine sehr kurze Liste oder sogar finale Platzierung ergeben können. Je transparenter und direkter dieser Prozess stattfindet, umso kredibler sollte das Ergebnis ausfallen.

Überaus wertvoll dürften in jenem Gremium auch Teilnehmer sein, welche mit keiner Bar befreundet sind und auch im Gremium keinerlei Beziehungen pflegen. Denn wie glaubwürdig könnte ein elitärer Expertenkreis sein, der sich permanent selbst in die eigene Platzierung wählte…?

Auch sollte der Einfluss der großen Nutznießer eines solchen Rankings möglichst ausgeschlossen werden. Denn so sehr der positive Einfluss hinzu immer besserer Qualität zu danken ist: Der Einfluss der Großindustrie in Form von zur Verfügung gestellter Marketingbudgets, Feuerkraft auf Sozialen Medien oder Ähnlichem sorgt nur für eine bessere Bühne für ein Produkt oder eine Bar, nicht zwangsläufig für die Bühne eines besseren Produktes oder einer besseren Bar.


“Weltklasse” nur mit Marketingbudget?

Eine der populärsten dieser Listen sind Worlds50BestBars, jedes Jahr zur London Cocktail Week publiziert und Grund für viele knallende Champagnerkorken. Fraglos sind jene auserwählten Stätten des fluiden Genusses allesamt Weltspitze. Doch wie wird über die konkrete Platzierung entschieden? Wer darf wählen? Wieso sind über Jahre die immer gleichen Bars darin zu finden und warum stellten über Jahre London und New York gefühlt mehr als die Hälfte der Bars dieser Liste? Sollten am Ende überproportional viele Wahlberechtigte gar aus jenen zwei – zugegebenermaßen weltweit führenden – Cocktailmetropolen stammen? Oder gar in jenen gewählten Bars arbeiten oder gearbeitet haben, in denen Jurymitglieder gerne einen Feierabend-Gibson genießen…? Oder gelten die beiden Städte nur deshalb als weltweit führend, eben gerade weil viele der wichtigen Konzernmitarbeiter (globale Markenbotschafter etc.) dort leben und daher zu einem großen Teil für Bars von dort stimmen?

Denn all die “Drinks Writers, Bartenders and Cocktail Aficionados” (so die offizielle Jurydefinition dieser Liste) müssen zwar mindestens drei ihrer sieben Stimmen an Bars außerhalb Ihres Heimatlandes abgeben. Doch sind bereits 53% aller Wahlberechtigten aus Nordamerika und Europa. Wie viele dieser “drinks writers, bartenders and cocktail aficionados” werden wohl aus Kiew, Porto oder Kopenhagen kommen? Wie viele im Gegensatz dazu aus London, New York und Paris?

Zwar gibt es sicherlich viele Akteure des globalen Cocktailzirkus’, die sehr viel reisen. Doch werden viele von Ihnen durch globale Vertriebe und Marken protegiert und die Reisekosten übernommen. Welcher Bartender oder Barbesitzer könnte sonst aus eigener Tasche ein halbes Dutzend Fernreisen pro Jahr unternehmen um Wettbewerbe, Kampagnen oder sogenannte “Barshows” (auf denen im Prinzip zu großem Teil immer das Gleiche passiert) zu besuchen? Sicherlich werden auf diesen firmengesponsorten und meist sehr eng gepackten Routen nur von den Veranstaltern protegierte Bars mit wertvollen Besuchen bedacht. Sehr schwer fiele es, sich den globalen Markenbotschafter für Tanqueray No. Ten in einer überwiegend mit Bombay Sapphire arbeitenden Bar vorzustellen. Zumal jene vielreisenden Botschafter schon lange über den Punkt hinweg sind, sich auf Gedeih und Verderb jene neue Bar anzugucken. Es sei denn, sie wird von einem Freund betrieben. Zeit ist bei vielen der Top-Akteure schon nicht mal mehr Geld, sondern ganz profan: Schlaf. Und so lässt man sich eben durch die protegierten Bars führen. Und was am Ende am stärksten im Gedächtnis bleibt, hat die nächste Chance auf eine jener begehrten Stimmen.

Sollten auf diese Weise sogar unerwartete Neueinstiege aus bisherigen Cocktailzwergen wie Zypern, Puerto Rico oder dem allseits beliebten Urlaubsland Libanon auf in Marketingoffensiven geschickte Bartender zurückzuführen sein, welche zuletzt in internationalen Wettbewerben auf sich aufmerksam machten? Und so teils auch in Kooperation mit über Reisebudgets verfügende Partner den globalen “Drinks Writers”-Strom in Ihre Richtung zu lenken wissen?

Denn überraschend ist es schon, dass nicht nur die Besitzer und Bartender der 50 berühmtesten Bars immer wieder in den Panels der großen Wettbewerbe zu finden sind. Sondern auch populäre Gewinner der größten Wettbewerbe wie Bacardi Legacy oder World Class. Wie sehr hilft dies der objektiven (Neu-)Entdeckung der besten oder zumindest sehr guter Bars? Proliferiert dies nicht die Wiederwahl der üblichen Verdächtigen?





Klasse Gastgeber auch ohne Rampenlicht?

Ich erfuhr so am eigenen Leib, wie diese “World’s 50”-Platzierungen auch zustande kommen können. Ich half einst mit, eine inzwischen sehr renommierte Bar in Sydney mit zu eröffnen. Die Gründerfirma war ein finanzielles Schwergewicht, die Australische Barszene gerade der letzte Schrei und es wurde ein Manager mit exzellenten Verbindungen in die Industrie gefunden. In der Leitung der Bar gab es lange Zeit viel Sand im Getriebe. Was jedoch nicht verhinderte, dass man prominente Gäste anzog, identifizierte und Ihnen nur vom Besten zukommen ließ. Und obwohl jene Bar von der Eröffnung an großartig war: Innerhalb von einem dreiviertel Jahr zu einer der 30 besten Bars der Welt gewählt zu werden entbehrte jedweder Grundlage. Keine Bar kann innerhalb solch kurzer Zeit solche Qualität und Kontinuität erlangen! Denn Weltklasse zu sein bedeutet eben auch, jede Nacht über lange Zeit gleichbleibend beeindruckende Qualität für alle Gäste abzuliefern. Und nicht nur für bestimmte, für das Marketing wichtige Einzelgäste.

Diesen Trick beherrscht auch eine andere, hochdekorierte australische Bar sehr gut. Welche abseits von mit freizügig fließendem Schnaps versorgten, internationalen Meinungsbildern oft auch eher an eine joviale Nachbarschaftsbar erinnert.

Oder auch eine kometenhaft aufgestiegene Pariser Bar, welche trotz höchsten Platzierungen von spitzen Zungen genauer Beobachter auch gerne mal als Divebar bezeichnet wird. Aber eben eine Divebar, welche die wichtigen Gäste zu ziehen und zu verwöhnen versteht, während man dort ansonsten Tischservice ohnehin vergebens erwartet und am Tresen dann am Wochenende teils 30 Minuten ansteht. So etwas kann im Prinzip keine der besten Bars der Welt sein. Es sei denn, man beginnt den dankenswerterweise dehnbaren Begriff “Bar” wirklich zu zerreißen.


Fazit

Ich glaube, dass eine Weltklassebar immer 100% liefern muss – egal, wer der Gast ist. Dies zu bewerten liegt in den Händen Vieler. Und angesichts des Vertrauens, was in solche Auszeichnungen gelegt wird, sollte diese Auszeichnung kein Karussell des Händeschüttelns werden. Sondern eben auch einzigartige Bars identifizieren, welche nicht mit großem Marketingbudget oder umfangreichen Gastbartender-Programmen jede Nacht Weltklasse arbeiten. Vielleicht ist dafür aufgrund der so riesig gewordenen Barwelt langsam eine Unterteilung notwendig – vielleicht können wir mit “Europas 50 Beste Bars” beginnen? Und sicherlich wird es auch Zeit, die in Deutschland bereits sehr hohe Barqualität nun mit jüngeren, erfolgreicheren Marketingstrategien in die Welt zu tragen. Und so ohne Blendwerk der bereits etablierten Qualität eine besser beleuchtete Bühne zu geben. Denn in meinen Augen – und das sage ich weder als Deutscher noch als MIXOLOGY-Mitarbeiter, sondern als wahrhaft Vielgereister – ist die deutsche Barszene aufgrund ihrer Diversität, unerreichten Produktvielfalt und technischer Versiertheit ihrer Akteure fraglos eine der fünf Besten der Welt.



Dieser Artikel erschien zuerst im Januar 2018 in der Mixology Online.

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